Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders
Stadt).
April 58 in’s Schul-Internat der Salesianer Don Bosco «Marienhausen» in Aulhausen/Rheingau.
Anfang Herbst 1960 nach Ausreißen vom Heim bis März 61 auf die Gemeinschaftsschule in der Siedlung.
April 61–April 1964 Berufsschule absolviert in Essen auf dem Gebäude des Schlachthofes.
«Wie ein Pfau»? ja, sicher, da meinte ich mich mit. Auch meine Eltern waren immer sehr gut angezogen.
Ich fand durch Zufall die Akten von der Adoption und bekam, wie wohl jeder in solchem Fall, zuerst einen ziemlichen Schock. Im Laufe der Wochen legte sich das aber, und ich sah es sogar als ganz besonders gute Tat an, daß sie mich aufgenommen hatten: Unter anderem, weil sie nicht «solche Schweinerei» gemacht hatten, um mich zu bekommen. Damals, Ende 1962, waren solche Dinge zwischen Mann und Frau für mich nämlich noch fürchterlich.
Auf dem Schulhof in Marienhausen war ich von einem Mitschüler in der gemeinsten Weise «aufgeklärt» worden. Ich habe einen derartigen Schock bekommen damals, daß ich es zuerst gar nicht glauben wollte und mich auf der Toilette übergeben mußte.Ich konnte es mir nicht vorstellen, daß meine Eltern soooo was Schlimmes und Schlechtes tun könnten. Darum war ich letzten Endes sogar froh, daß es nicht so war.
Wenn es bei meiner Mutter zu solchen Ausbrüchen kam, war es fast immer bei Kollisionen mit ihrem Ordnungs-Sinn, besser: Fimmel. Verstehen Sie mich recht?: Wenn ich ihr wichtig war, gut, aber ihre Ordnung war ihr noch viel, viel wichtiger. Wie schnell das gehen konnte, will ich Ihnen an einem Beispiel sagen. Im Hause in Langenberg, als ich mal irgend etwas gegen ihre Ordnung tat, warf sie mit einer Bierflasche plötzlich nach mir. Als ich noch etwas älter und mit ihr im Geschäft war, passierte auch mal so etwas, was gegen ihre Ordnung ging. Da warf sie auf einmal mit einem spitzen Fleischermesser nach mir. Es verfehlte mich nur knapp. Ich konnte nur stammeln: «Ach, so ist das …» «Ja», schrie sie, «so ist das!» und spuckte mir in’s Gesicht. Ich sagte nichts mehr. Sie lief aus dem Laden, suchte das Telefon und rief, so daß die Angestellten es hören konnten: «Jetzt rufe ich Herrn Bitter (Leiter des Essener Jugendamtes) an, der soll heute noch dafür sorgen, daß Du Schwein dahin kommst, wo Du herkamst, denn da gehörst Du hin!» Ich ging auf die Toilette und weinte. Können Sie sich vorstellen, wie mir zumute war? Das war 1965.
Ich kann mich nicht erinnern, daß ich jemals spontan zärtlich mit meiner Mutter war, daß ich sie in den Arm nahm und versuchte, mit ihr zu schmusen. Ich kann mich dunkel daran erinnern, daß sie mich mal abends beim Fernsehen, wenn ich im Bett zwischen meinen Eltern lag, so genommen hat, aber das mag in vier Jahren zweimal vorgekommen sein, und ich habe das auch eher abgewehrt. Meine Mutter war nie besonders glücklich darüber, aber ich habe immer so eine Art Horror vor ihr gehabt. Ich weiß nicht, wie man das nennen soll, vielleicht eine Ironie des Schicksals, oder noch etwas trauriger. Wenn ich als kleiner Junge von meiner Mutter träumte, entweder verkaufte sie mich oder sie kam mit dem Messer auf mich los. Das zweite ist auch später leider Gottes wahr geworden.
Das war 1964 oder 1965. Ich glaube, es war ein Dienstag, meineMutter war damals nur dienstags und donnerstags in Katernberg im Geschäft. In der Mittagszeit wurden die Fleischstücke umgepackt und die Theken abgewaschen. Meine Mutter hat eine Hälfte abgewaschen und ich die andere. Die Messer wurden auch abgewaschen, sie standen in einem Eimer. Ich sagte, ich sei fertig, aber sie hatte ihren schlechten Tag und sagte: «Du bist noch lange nicht fertig!» «Doch», sagte ich, «guck dir es an.» Sie sagte: «Guck dir bloß die Spiegel an, die mußt du alle noch mal machen.» Ich sagte: «Ich werde die auch nicht noch mal machen, weil sie schon schön blank sind.»
Sie stand hinten am Spiegel. Ich stand drei oder vier Meter von ihr weg. Sie bückte sich in den Eimer. Ich denke, was ist jetzt los? Dann holte sie ein schönes, langes Metzgermesser raus und warf es auf mich zu, etwa in Schulterhöhe. Ich weiß nicht mehr, ob es an einer Waage abprallte oder wo, aber auf jeden Fall landete es auf einem Brett. Wenn ich nicht im letzten Moment ausgewichen hätte, hätte sie mich damit getroffen.
Ich habe steif gestanden wie ein Brett. Ich wußte überhaupt nicht, wo ich war. Es war irgendwie so unwirklich. Das war eine Sache, die man sich überhaupt nicht vorstellen
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