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Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Titel: Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Moor
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konnte. Dann kam sie auf mich zu, spuckte mir ins Gesicht, und fing an, zu schreien, daß ich ein Stück Scheiße wäre. Dann schrie sie noch «Ich werde Herrn Bitter» – Leiter des Essener Jugendamts – «anrufen, dann kann er dich gleich abholen, damit du hinkommst, wo du hergekommen bist, denn dort gehörst du hin!» Das war 1965.
    Ich bin in die Küche zur Verkäuferin Frau Ohskopp gelaufen, sie wusch die Sachen vom Mittagessen. Ich stellte mich an den Schrank und hielt mich da fest. Ich sagte: «Sie hat ein Messer nach mir geworfen.» «Du spinnst», sagte sie, «du bist nicht gescheit.» Ich bin die Treppe in den Lokus runtergelaufen und habe mich hingesetzt und wie ein Schloßhund geheult. Als ich dann wieder raufging, lief meine Mutter in der Küche herum und hatte das Telefonbuch aufgeschlagen. Wahrscheinlich hat sie tatsächlich die Nummer von Herrn Bitter gesucht. Eine ganze Zeitlang hat sie mit mir nicht gesprochen. Anscheinend meinte sie, das ist ein böserMensch, der sich mit einem Messer bewerfen läßt und einfach zur Seite springt, ich weiß es nicht.
    Immer Ihr Jürgen
     
    «Jürgen, Sie   …» hört sich etwas seltsam an. Duzen Sie mich doch ruhig, ich höre es lieber.
     
    [Von Jürgens Mutter an mich:]
     
     
    Essen, den 13.   5.   1968
     
    Sehr geehrter Herr Moor!
    Recht herzl. Dank für die Übersendung des Spiegel-Ausschnittes.
    Die Revisionsgründe sind ja nun heraus + wir hoffen + beten! Als wir zuletzt bei Jürgen waren, sagte er uns, daß am Tage vorher Herr Möller einen Brief für Sie mit hinaus genommen hat. Herr Möller sagte uns, daß er diesen Brief sofort an Sie weiter geleitet hat. Ich nehme an, daß inzwischen alles in Ordnung ist.
    Zum Schluß möchte ich mich auch im Namen meines Mannes für alles bedanken, was Sie für unseren Jungen tun.
    Unsere Gedanken sind bei Ihnen + wir hoffen jeden Tag, daß Ihr Vorhaben in Amerika von Erfolg gekrönt sein möge.
    Für heute grüße ich Sie auch im Namen meines Mannes sehr herzlich
    Ihre Trude Bartsch
    ***
    [Am Tage danach hat mir Jürgen selber geschrieben.]
     
     
    W.-tal, den 14.   5.   1968
     
    Lieber Mr.   Moor.
    … Zur Zeit schreibe ich an meine Eltern, je eine Adresse in Bremen, D.-dorf, Essen, München, Neuß, und Sie natürlich auch.Ich könnte also eigentlich «jede Woche an jeden» schreiben. Dem ist aber nicht ganz so. Im Gesetz heißt es: «mindestens einmal in der Woche einen zwei Seiten langen Brief». Was darüber ist, kann genehmigt werden (wird es in der Regel auch), muß aber nicht. Ich kann also nicht so viel schreiben, wie manch einer vielleicht denkt. Dazu kommt, daß ich jede Woche an meine Eltern schreibe.
    Meist werden wir um 7   Uhr geweckt, danach muß die Zelle saubergemacht werden, und es gibt Frühstück; etwa um 10   –   11 muß ich eine halbe Stunde allein im Innenhof spazierengehen. Um 12 gibt es Mittagessen. Danach, wie schon morgens, arbeiten bis etwa 18 (arbeiten ist beim U.-Häftling freiwillig), wenn es Abendessen gibt. Danach wird die Tür nicht mehr aufgemacht. Und um 21   Uhr geht das Licht aus. Alle zwei Wochen kommt die E-De -Ka, dann kann man (wenn man hat) für 25.– DM Lebens- und Genußmittel einkaufen. Meine Eltern dürfen mir alle zwei Wochen, wenn sie mich besuchen, etwas zu lesen mitbringen. Das ist schon alles, was gäbe es sonst noch darüber zu berichten?
    Nichts.
    Wissen Sie, mir sind doch damals im Januar die Nerven «durchgegangen». Und man kann doch sicher mit gutem Grund sagen, daß ich damals die Tabletten, wenn sie auch viel zu leicht waren, mißbraucht habe. Ich hatte mir schon gedacht, daß der Arzt hier wohl ziemlich «sauer» auf mich sein müßte. Vor ein paar Wochen war ich mal bei ihm. Er war, versteht sich, einige Grade kühler als sonst, aber beileibe nicht unfreundlich. Ich merkte, daß er sich scheute, mir Tabletten zu verschreiben, nun, darüber dürfte ich mich nicht wundern.
    Ich wollte ihn eigentlich bitten, doch anzuordnen, daß ich die Tabletten nur «aufgelöst und vor den Augen der Beamten einnehmen» bekommen sollte. Dann hätte er sich ja keine Gedanken mehr zu machen brauchen. Aber ich hatte wieder mal keinen Mut, den Mund aufzumachen. Ich bin auch noch nicht wieder beim Arzt gewesen. Ich schäme mich auch noch ziemlich wegen damals. So bin ich also durch eigene Schuld zur Zeit ohne Behandlung.Meine Eltern haben mir auch schon Vorwürfe deswegen gemacht, aber ich bin nun mal so, wenn ich mich schäme. Man kann so schlecht aus seiner

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