Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders
– und auch wieder immer nur, wenn er dazu gezwungen war, niemals aus völlig freiem Willen. Das hat er nicht getan, das konnte er wohl auch nicht. Das andere Mal war später. Ich war auf Suche gewesen und habe die Zeit vergessen, weil ich so da hinterher war. Ich wußte genau, wann ich zu Hause zu sein hatte und daß ich das große Theater zu erwarten hatte. Deshalb habe ich angerufen und meinem Vater gesagt, er möchte mich abholen. Ich habe ihm irgendein Räubermärchen erzählt; mein Vater ist ja sehr intelligent.
Er ist gekommen und hat mir gesagt: «Hör mal, was du da erzählt hast, das ist ganz große Scheiße. Wo warst du wirklich?» Ich habe es natürlich nicht fertig gebracht, nun jetzt zu sagen: «Ich bin auf die Suche nach Jungen gewesen, die ich umbringen will, um sie auszuziehen und zu schlagen.» Aber da kam auch wieder mal ein persönliches Gespräch zustande, nachdem ich den Jungen Beck in der Höhle verprügelt hatte. Mein Vater sagte mir: «Ja, vielleicht bist du irgendwie krank, irgendwie nicht ganz normal in dieser sexuellen Beziehung. Vielleicht kannst du da mal was machen. Es gibt Ärzte, die vielleicht helfen können.» Aber dabei ist es geblieben.
Auf die schlimmste Art hat mir ein «Kamerad» in Marienhausen alles erklärt. Daß man den «Schwanz» in die «Pflaume» stecken müsse, in das «Loch da unten». Ich brauchte zuerst eine gewisse Zeit, bis ich überhaupt begriff, was alles er meinte. Dann erzählte er von dem «dicken Bauch» und daß das alles «vögeln» oder «ficken» heiße und daß das Kind auch da unten raus käme und einen dicken Strick am Bauch hätte, den man abreissen müsseusw. Zum Schluß gab er mir noch einige «gutgemeinte Ratschläge», etwa: «Vor dem Essen soll man rauchen oder eine Frau gebrauchen.»
Vielleicht können Sie heute darüber lachen. Ich konnte es damals nicht und kann es auch heute noch nicht.
Immer Ihr Jürgen
P. S. Seien Sie so nett und schreiben Sie nur eine Karte, daß Sie (also Sie!) noch immer keine Antwort von mir, also Jürgen, bekommen hätten. Das ist kein Unsinn, sondern notwendig, weil dieser Brief nicht durch die Zensur geht, wegen des Umfanges, vielleicht würde er nicht durchgehen. Wenn Sie mir also diese Karte schreiben, fällt nichts auf. Danach können Sie mir dann ja einen neuen Brief schreiben; Herr Möller ist so nett und sendet Ihnen diesen Brief unzensiert. Die Richter haben ihn also nicht gelesen.
Ihr Jürgen
***
W.-tal, 28. 5. 1968
Dear Mr. Moor!
Besonders gefreut habe ich mich über: Ihre netten Texas und California-Postcards, über den Farbbild-Streifen von El Paso und über Ihren letzten Brief und darüber, daß Sie meinetwegen den Psychoanalytiker [Prof. Dr. med. Frederick Hacker in Los Angeles] aufsuchen wollen, bzw., es schon getan haben! Vielen Dank and/many Thank’s dafür.
Und nun meine Antwort auf Your little Questions:
Ich habe Herrn Bitter [den für Jürgens Adoption zuständigen Beamten beim Jugendamt] bewußt nur einmal gesehen, als ich bei ihm zu Besuch war, mein Vater hatte mich nur hingebracht; er, seine Frau und zwei oder drei ihm bekannte Jugendliche waren da, das ist aber schon 6 – 7 Jahre wenigstens her. Es gab Tonfilme zu sehen vom Jugendamt, darunter einer: «Anhalter-Bahnhof»,über die Gefahren, die Frauen u. Mädchen drohen, die in fremde Autos steigen. Gegen Abend holte mich mein Vater wieder ab. Eine richtiggehende Unterredung habe ich mit dem Manne nie geführt.
Vor Gericht sagte mein Vater aus, daß er (Vater), als ich ihm die Tat an Beck gestanden hatte, 1962, alleine zu Bitter gefahren sei und auch von ihm Rat holen wollte, weil er (Vater) mein Verhalten, nackt ausziehen usw., nicht normal fand. Herr Bitter beruhigte ihn und sagte, das sei nichts Außergewöhnliches.
Herr Bitter ist, als ich dabei war, nie bei uns gewesen. Ich weiß nichts davon. Es hat wohl außer Herrn Bitter keiner von dieser Stelle (Jugendamt) mit meinen Eltern in Verbindung gestanden.
Die Geschichte im Laden war mit Sicherheit nach der dritten Tat. Aber, nicht ganz so krass, war Ähnliches (natürlich nur mit meiner Mutter) schon vorher vorgekommen. So etwa alles halbe Jahr, auch schon vor der ersten Tat. Immer dann, wenn sie mich auch schlug. Sie wurde immer wütend, wenn ich die Schläge abwehrte. Ich sollte so quasi strammstehen, um die Prügel zu empfangen. So mit 16 ½–19 Jahren, wenn sie mich da schlagen wollte und hatte etwas in der Hand, da
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