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Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Titel: Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Moor
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habe ich es ihr dann einfach aus der Hand genommen.
    Das war dann für sie so ziemlich das Schlimmste. Sie empfand das als Auflehnung, obwohl es nur Notwehr war, denn sie ist beileibe nicht schwach. Und in den Momenten hätte sie es in Kauf genommen, mich zu verletzen. So etwas merkt man. Das waren immer Gelegenheiten, bei denen ich entweder irgend etwas gegen ihren Ordnungssinn getan hatte («Das Wohnzimmer ist geputzt, da kommt mir heute niemand rein!») oder ein Widerwort gegeben hatte. Aber so drastisch wie im Laden war es nicht.
    Als das passierte, habe ich sogar meinerseits mit den Gedanken gespielt, selbst zum Jugendamt zu gehen, um von «zu Hause» fortzukommen. In den letzten Jahren habe ich (wie ich glaube, mit Recht) einen steigenden Widerwillen gegen unser «trautes Heim   – Glück allein» entwickelt. Ich will es Ihnen offen sagen: Ich habe meine Eltern lieb und ich bin ihnen dankbar, daß sie zumir halten, aber den ganzen Tag möchte und kann ich mit ihnen nicht zusammensein.
    Und «nach Hause» zurück?
    Dann doch lieber Gefängnis.
    Ihr Jürgen
     
    [Normalerweise hatte Jürgen eine sehr kleine Handschrift und nutzte die ihm erlaubten zwei Seiten vollständig aus, aber am Schluß dieses Briefes, nach diesem Vergleich zwischen seinem Zuhause und dem Gefängnis, bleibt eine halbe Seite unbeschrieben.]
    ***
    [Am selben Tag schrieb Jürgen an seinen Verteidiger einen Brief, dem er seinen ersten journalistischen Versuch beilegte.]
     
     
    Wuppertal, den 28.   5.   1968
     
    Lieber Herr Möller!
    Es sieht wahrscheinlich nicht danach aus, aber anl. Schriftstück war eine sehr, sehr schwere Arbeit für mich. Nicht, daß ich es nicht gern getan hätte, im Gegenteil, ich sehe es in gewisser Weise als meine Pflicht an, als «das, was man noch tun kann». Und auch gern habe ich es getan, nun, wo «es» fort ist, damit meine ich den ‹dunklen Drang›, wie es Richter Ott ausgedrückt hat. Nun frage ich also ganz konkret: Besteht eine Möglichkeit, diese meine Überlegungen, etwa in gedruckter Form wie Heft, Broschüre oder ähnlichem, als Warnung und Hilfe zugänglich zu machen? Und wann? Und wird überhaupt jemand Wert darauf legen, wenn ich sage: «Es muß doch nicht noch mehr passieren!» Vielleicht sagen Sie mir mal Ihre Meinung darüber.
    Übrigens: Verdienen, im Falle des Falles, würde und wollte ich keinen einzigen Pfennig daran, es sei denn, für gute Zwecke wie etwa ein Kinderdorf. So kann ich also nur hoffen, daß nicht alle Menschen die Einstellung haben, die ein Großvater äußerte, alser vom «General-Anzeiger» gefragt wurde: «Wie warnen Sie Ihre Kinder vor Sittenstrolchen?»
    Antwort: «Meine kleine Nichte ist jetzt 11   Jahre, die ist alt genug, die kann selbst auf sich aufpassen!»
    !!!
    Ihr Jürgen
     
    [Von Herrn Möller bekam ich, zur Information, Jürgens «Schriftstück».]
     
    Jürgen Bartsch:
    WIE SCHÜTZE ICH MEIN KIND?
     
    In jedem Jahrhundert werden vielleicht Tausende von Kindern Opfer von Sittlichkeitsverbrechen. Es muß jedoch damit gerechnet werden, daß die [un]bekannte Ziffer noch über diese Zahl hinausgeht, weil viele Kinder und viele Eltern aus Angst vor Scherereien, falscher Scham oder auch falscher Rücksichtnahme keine Anzeige erstatten. («Er ist zwar ein Schwein, aber ich kann doch meinen Bruder nicht anzeigen!»)
    Sittlichkeitsverbrechen werden in fast allen Fällen (Ausnahmen bestätigen nur die Regel) von Einzelgängern begangen, durchweg Männer. Diese Männer planen, wenn sie überhaupt vorher planen, das Verbrechen ganz allein und begehen es auch ebenfalls ganz allein. Was hat das aber zu bedeuten? Vor allem muß man dabei die bedrückende Schlußfolgerung ziehen: Die Polizei ist oft bis zu einem bereits begangenen Verbrechen ahnungslos, sprich machtlos. Man kann ihr darum aber keinesfalls einen Vorwurf machen, wie es oft unüberlegt passiert. Denn nur ein Hellseher könnte manchmal solch ein Verbrechen verhüten, bevor es geschieht.
    Die Kriminalpolizei kann nicht jedem Kind auf dem Weg zur Schule, durch den Wald, ins Schwimmbad, ins Kino, zum Kirmesplatz, oder wenn es einmal allein zu Hause ist, einen «Schutzengelmitgeben». Es muß doch für Eltern, die ihre Kinder lieben, ein unerträglicher Gedanke sein, die Kinder gewissermaßen schutzlos einem etwaigen Täter ausgeliefert zu wissen. Denn, wie schon erwähnt, die Kripo kann beim besten Willen nicht so, wie sie will. Und sie will! Denn mancher Beamte ist darunter, der selbst Kinder hat und sich

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