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Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Titel: Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Moor
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bekam von ihrer Mutti zwei Mark sowie eindringliche Ermahnungen mit auf den Weg. Schon in einer halben Stunde war das Geld alle, aber bis abends 17   Uhr darf sie noch von daheim fortbleiben. Nun steht sie vor einer Schießbude, dann vor der Raupe und endlich vor der Geisterbahn, mit der sie schon immer fahren wollte. Jetzt hat sie zwar sowieso kein Geld mehr, aber allein zu fahren, davor hätte sie sicherlich Angst.
    Da kommt ein junger Mann auf sie zu und spricht sie an: «Na, Kleine, hast wohl kein Geld mehr, nicht wahr? Weißt du was, fahr doch einfach mit mir, allein macht es doch keinen Spaß.» Marion wäre sicherlich auf den jungen Mann, der beileibe keinen schlechten Eindruck macht, hereingefallen, wären die Ermahnungen der Mutter nicht gewesen, strenge, ernste Ermahnungen. So ist das kleine Mädchen gewarnt und tut aufs Wort genau, was ihr die Mutti geraten hat. «Danke schön», sagt sie, «aber ich darf von niemandem etwas annehmen.»
    Ist der junge Mann nichts weiter als ein kinderfreundlicher Mensch, der einem kleinen Mädchen eine Freude bereiten möchte, so wird er rasch verstehen und sich unbeleidigt und nett verabschieden. Denn ein Kinderfreund, der keine Hintergedanken hat, wird und muß heutzutage immer damit rechnen, falsch verstanden zu werden. Jedoch dieser Mann blieb hartnäckig und ging sogar hinter Marion her bis zum Loseziehstand und sprach überredend auf sie ein.
    Und was tat Marion? Sie bat laut und vernehmlich den Loseverkäufer: «Bitte helfen Sie mir, der Mann läuft immer hinter mirher und verspricht mir alles Mögliche, ich darf aber nicht, meine Mutti hat gesagt   –», aber weiter kommt sie gar nicht, denn der Sittenstrolch, der blitzschnell zu flüchten versuchte, wird bereits vom Loseverkäufer und anderen aufgebrachten Kirmesbesuchern festgehalten, bis die Polizei kommt. Ein schlimmes Verbrechen wurde verhütet. Wichtig hierbei ist vor allem: ein bedrängtes Kind wendet sich auf einem Rummelplatz am besten an Schausteller persönlich. Denn jeder Inhaber einer solchen Bude oder eines Fahrgeschäftes hat das größte Interesse daran, den Kirmesplatz «sauber» zu halten. Nicht nur aus menschlichen, auch aus rein geschäftlichen Gründen.
    Zu der Feststellung, daß es auch wirkliche Kinderfreunde gibt, ist noch etwas zu sagen. Diese Menschen meinen es nur gut und tun doch oft das Verkehrte. Sie verstehen gewiß, was ich damit meine. Es ist verständlich, wenn z.   B. einem Spaziergänger eine Gruppe von Kindern begegnet, von denen außer einem Kind alle anderen ein Eishörnchen in der Hand halten – daß dieser Spaziergänger vielleicht Mitleid verspürt und dem einen Kind, das sehnsüchtig auf das Eis der anderen schaut, gern auch ein Hörnchen kaufen möchte.
    Aber, wenn es auch nicht leicht ist, so soll er es doch lieber unterlassen. Denn das Kind wird eventuell das Eis oder das Geschenk annehmen. Dies kann dazu führen, daß dasselbe Kind dann später von einem anderen «Onkel» auch Geschenke annimmt, von jemandem, der keineswegs ein harmloser Spaziergänger und Kinderfreund ist. Für wirkliche Kinderfreunde gibt es so viele andere Gelegenheiten, Gutes für Kinder zu tun.
    Horst, elf Jahre alt, war an diesem Tage, einem Mittwoch im August, zu seiner Oma nach Düsseldorf gefahren mit Erlaubnis seiner Eltern. «Aber um neunzehn Uhr bist du wieder zu Hause!» ermahnte ihn die Mutter. Mit dem Zug war es von ihrem Dörfchen, in welchem seine Familie wohnte, nur eine knappe halbe Stunde zu fahren. Der kleine Horst fuhr sehr gern zu seiner Oma, dort gab es immer gute Sachen für ihn.
    Nachmittags um 17.30   Uhr machte er sich langsam zum Aufbruchbereit, zur Heimfahrt. «Paß schön auf dich auf!» rief ihm noch, wie immer, die Oma hinterher. «Was soll schon passieren», dachte Horst. Aber, was ihm nie passiert war, er stieg, ohne es zu bemerken, in den falschen Zug, der ihn in fast die entgegengesetzte Richtung brachte. Er merkte es erst auf dem Bahnsteig der ihm völlig fremden Stadt. Nicht einen einzigen Menschen kannte er hier.
    So einsam und verlassen hatte er sich noch nie gefühlt. «Alle Leute haben es eilig und machen böse Gesichter», überlegte er. Es war zum Heulen, «aber ein Junge weint nicht». Auf die Idee, einen Auskunftsbeamten oder einen Bahnpolizisten um Hilfe zu fragen, kam er erst gar nicht, weil die Mutti es versäumt hatte, ihn darauf hinzuweisen.
    So ging er tapfer durch die ganze Stadt und danach auf die Landstraße in Richtung seines Dorfes. Er sah

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