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Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Titel: Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Moor
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tolerant, ja.
     
    127.   Kanntest Du die Nachbarn in Langenberg gut? Wie waren Deine Beziehungen zu ihnen?
     
    Ich hatte kaum Kontakt mit den Langenberger Nachbarn. Erstens, weil ich die meisten Tage der Woche von morgens früh bis spätabends gearbeitet habe im Geschäft, wo sowieso dann für Nachbarschaftspflege keine Zeit mehr gewesen wäre. Die Nachbarn und auch die Söhne in meinem Alter hatten alle den 8-Stunden -Tag, wir haben aber bei uns meist dreizehn Stunden oder mehr arbeiten müssen, alles eingerechnet, die langen Fahrten und so. Wenn ich oft mit meinen Eltern um 20.30   –   21.00 zu Hause ankam, standen die anderen mit Rad oder Moped auf der Straße, aber es wurde dann schon lange dunkel. Manchmal habe ich gefragt, wie lange seid Ihr schon zu Hause, meist waren sie schon seit halb 5 bis 6   Uhr frei und durften raus. Und sie durften, besonders die Gleichaltrigen, auch noch viel länger draußenbleibenals ich, so hätte ich nur ein kurzes Stündchen Zeit gehabt, für guten Abend und auf Wiedersehn zu sagen. Glauben Sie mir, ich, weil ich zudem meinen Beruf nicht liebte, war das alles manchmal so satt, mir stand das oft so bis zum Hals, ich hätte die ganze Scheiße so hinschmeißen können. Aber dann hat doch immer das Gewissen des Kindes des Mittelstandes die Oberhand behalten, schließlich ist ja alles nur für mich, da muß man eben auf manches verzichten, und auch da ist ja was Wahres dran.
    Der zweite Grund war, daß ich immer das Gefühl hatte, zwar gern stets dabei sein zu wollen, aber «von Natur aus» im zweiten Glied zu stehen. Also kurz gesagt, ich kam mit gleichaltrigen Nachbarsjungen kaum zusammen, und wenn dann noch Mädchen dazukamen, dann würde es ganz unmöglich, weil ich ja schlecht sagen konnte: «Laßt sie doch laufen, was sind sie denn schon Besonderes». Wenn es mal so kam, dann schlug ich mich eben eher schlecht als recht durch, indem ich wie die Anderen «dufte Puppe» oder «dumme Gans» sagte und über faule Witze grinste, aber bei all dem war mir oft richtig übel, denn was für fade Schauspielerei um einer kümmerlichen Fassade willen.
     
    128.   Versuchtest Du, viele Arten von Menschen zu kennen, oder war es Dir wohler in Deiner eigenen Gruppe?
     
    Wie gesagt, konnte ich besser mit Erwachsenen umgehen. Bei Gleichaltrigen war es wegen Hemmungen immer viel schwieriger. Mit «meiner Gruppe», wie Sie sagen, konnte ich es also nicht gut. Falls Sie auch Standes-Gruppen meinen, da kannte ich wenig von. Ich habe immer wenig Kontakt gehabt, da hatte ich mit solchen Dingen ja praktisch nichts zu tun.
     
    129.   Wie reagierst Du in unerwarteten Situationen? Kannst Du ein paar Beispiele beschreiben?
     
    Sie meinen ganz unverhofft? Da erinnere ich mich im Moment, als ich den Victor mal in unserem V W-Bus fahren ließ, abends, aufnasser Straße, da fuhr er auf einmal mit 80   Sachen in eine Kurve. Der Wagen war ganz leer, und drehte sich natürlich plötzlich wie ein Kreisel auf dem Pflaster. Ich wußte vor Schreck nicht, was ich tun sollte, griff hinüber und riß wie verrückt die Handbremse fest, was die Sache natürlich nur noch schlimmer machte. Der Wagen drehte sich wie irr, man konnte gar nichts mehr erkennen, und ich drückte mich mit dem Gesicht in die Rückpolster und hielt die Arme über den Kopf. Nach einer «Ewigkeit» standen wir. Hätte der Wagen sich nicht rein zufällig stets genau in Straßenrichtung gedreht oder wäre uns gar ein Wagen entgegengekommen, ich möchte wetten, wir wären tot gewesen. So aber war nicht das geringste «passiert», weder uns noch dem Wagen.
    Zweimal habe ich bei Kletterei sehr gefährlich festgehangen, so daß ich weder vor noch zurück konnte. Beide Male bin ich, einmal von einer Erzieherin, das andere Mal von einem anderen Jungen, gerettet worden. Todesangst habe ich beide Male gehabt, es ist ein ganz verdammtes Gefühl, ich möchte es nicht noch mal erleben. Man sollte allerdings öfter an diese Dinge denken, dann würde man wahrscheinlich auf andere Menschen besser und mehr Rücksicht nehmen.
    Auch die plötzliche «Damenwahl» in der Tanzschule war stets unerwartet. Mir war dann immer ganz flau, denn, welche auch kam, ich würde einen roten Kopf kriegen, was doch ganz blödsinnig war, denn keines Mädchens «Liebreiz» sagte mir was.
    In der Schule früher, in Essen noch, da war es immer am unerwartetsten, wenn ich alleine was singen sollte. Da bekam ich keinen Ton raus, vor der ganzen Klasse, und alle guckten mich

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