Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders
genaue Gegenteil von allem, was ich eben nannte. Nehmen Sie dann noch viele Geschwister, Jungen und Mädchen, mit denen ich hätte jeden Tag spielen können. Und dann auch nicht so eingeengt, auf die Minute zu Hause sein und so. Und nie erwachsen werden, immer Junge sein, höchstens 12 – 14 Jahre alt, mich mit den anderen verstehen, Streiche mit ihnen machen, vielleicht auch in einem Ferienheim, wo nicht Sadisten als Lehrer sind, Kartoffelfeuer, Fahrtenlieder, Wanderungen, Geländespiele, das wäre mein Traum vom Glück. Kurz gesagt: Ein Leben lang kurze Hosen tragen. Aber daß ich «in realita» glücklich war? Das würde ich glatt verneinen. Mir fällt auch beim besten Willen nichts ein.
132. Bist Du leicht gelangweilt? oder nicht? Welche Art Situation langweilt Dich besonders?
Da darf ich mit gutem Gewissen sagen, daß ich praktisch mein Leben lang bis zur Verhaftung nie Langeweile hatte, dazu fehlte mir die Zeit, um es etwas sarkastisch auszudrücken. Allenfalls wenn ich mal Schlange stehen mußte oder so, aber das sind ja allbekannte Situationen. Oder jetzt hier im Gefängnis, aber Langeweile kenne ich hier auch nicht, im Moment denke ich ohne Anstoß nicht gern nach, darum übe ich viele Zauberkunststücke und lese viel, sehr viel. «Belletristik» nennt man die Literatur.
I. Antisoziale Geschichte
133. Hast Du jemals zur Kleptomanie geneigt?
Damals in der Schule habe ich meiner Oma Geld gestohlen, das ich ja den Anderen gab, damit sie mich vor sich selbst «beschützen».Dann habe ich während der gesamten Heimzeit kein einziges Mal etwas gestohlen, erst später wieder, als ich wieder zu Hause war. Mit Viktor zusammen stahl ich in Velberter Kaufhäusern Taschenlampenbatterien, Birnchen und Lenkschützer für’s Fahrrad. Das war so ein paar Wochen, wo mich das gereizt hat. Aber so was haben wohl die meisten Jungen getan.
Auf der Schulentlassungsfahrt, wo wir Katholischen zusammen hinfuhren, da war im Dorf, wo wir waren, so ein kleiner Laden, wo die Süßigkeiten nur so in der Gegend herumlagen. Da habe ich eine Rolle Schokoladentaler geklaut. Ich will mich nicht entschuldigen, aber wenn wir nicht alle damals etwas geklaut hätten, hätte ich auch nichts mitgenommen. Von unserer Gruppe war aber auch nicht einer, der nicht irgend etwas mitgehen ließ. Wir meisten waren 14 Jahre gerade. Einige von uns gingen in die Bücherei des Dorfes und ließen da insgesamt 30 – 40 Bücher, meist Taschenbücher, «mitgehen». Die Archivarin besuchte uns abends und sagte: «Entweder Ihr rückt die vielen Bücher freiwillig raus, oder ich lasse die Polizei holen!» Da haben die dann die Bücher rausgerückt und alle in einen Koffer getan. Aber damit hatte ich nichts zu tun.
Als ich damals ab und an eine Kleinigkeit geklaut habe, hat das eine gewisse Befriedigung mit sich gebracht, ich wußte, daß das nicht richtig war, was ich tat, und es tat mir wohl auch leid, aber daß ich wußte, ich war doch nicht so dumm, wie die Anderen glaubten, das war doch auch was wert.
Dann habe ich später auf dem Schlachthof mal 5 oder 6 Schweinelebern gestohlen. Ich hatte sie einfach auf unseren Anhänger geworfen, weil unser anderer Lehrling gesagt hatte, ich wäre zu feige dazu. Was ich mit dem Zeug tun sollte, wußte ich nicht. Mein Vater hätte keine gestohlenen Lebern angenommen, und verkaufen hätte ich sie auch nicht können, ich kannte keinen, der mir was dafür gegeben hätte. Ich bin vor Gericht gekommen, aber die haben das Verfahren eingestellt.
Später habe ich dann laufend aus der Ladenkasse Geld gestohlen, im Laufe der Zeit, meine ich, müssen das wenigstens so um20 000 Mark gewesen sein. Das verteilte sich aber auf 2 – 3 Jahre wenigstens. Dieses Geld ist fast alles verbraucht worden nur für Taxifahrten, als ich Kinder suchte und auch auf der Kirmes. Ich bin auch nachts mal auf Tour gewesen, ein paar Mal, um zu trinken, aber das kann insgesamt nur ein paar Prozent ausmachen. Fast alles ist gebraucht worden auf der Suche nach Kindern. Dieses Stehlen ging bis zum Schluß, also bis zur Verhaftung, weiter.
Ich muß bekennen, daß ich mir wegen dieses Geldes keine Gewissensbisse wegen des Stehlens an sich machte, weil ich glaubte, daß ich das Geld unbedingt haben muß und sonst auf jeden Fall nicht so viele Opfer haben konnte. Das hört sich natürlich ganz furchtbar an, aber so habe ich gedacht, und ich war davon überzeugt.
134. Hat Dich
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