Jürgen Klopp: Echte Liebe
verbunden zu fühlen.
BVB-Fans drängte sich der angenehme Eindruck auf: Hier wird Fußball ehrlich gelebt, die Nähe zu Region, Fans und Verein ist keine Worthülse, sondern wird mit Leben gefüllt. Dies ist ein wesentlicher Grund, warum dem Team von 2011 die Sympathien derart zuflogen. Ein Team, dessen Leistung ihr Torhüter Roman Weidenfeller treffend zusammenfasste – wenn auch nicht in reinstem Oxford-Englisch: »I think we have a grandios Saison gespielt!«, gab er beim spontanen Interview mit einem arabischen TV-Sender zu Protokoll. Ein Bonmot, das zum geflügelten Wort der folgenden Festivitäten wurde.
Festivitäten, die über zwei Wochen gingen und nach dem Sieg über Nürnberg ihren Anfang nahmen. »Wir hatten das Glück, schon vorzeitig Meister zu werden und so haben wir bei wunderschönem Wetter direkt eine große Party gestartet, sehr spontan, sehr ursprünglich. Das hat einen Riesenspaß gemacht«, erinnert sich Klopp gerne zurück.
Wie sehr Jürgen Klopp die Intensität berührte, mit der Dortmund seine Meisterhelden feierte, machte er im Mai 2011 in einem Interview deutlich: 23
»Ich habe an diesem Wochenende, im Stadion, auf der Feier abends, am Sonntag beim Umzug durch die Stadt an mehreren Punkten gedacht: So was Schönes werde ich nicht mehr erleben! Das war jetzt der Höhepunkt! Und dann kamst du um die nächste Straßenecke, und es hat dich wieder überwältigt (…) Man hat zum ersten Mal wirklich verstanden, wie groß dieser Verein ist. Borussia Dortmund, das ist eine unglaublich große Energie (…) Wir haben fast alle mal Tränen in den Augen gehabt, manche haben richtiggehend geheult vor Freude. So etwas willst du wieder erleben. Dir wird an so einem Tag klar: In Dortmund ist Fußball nicht diese schönste Nebensache der Welt. Es ist eine Hauptsache (…) Die Leute hier, das habe ich spätestens am Sonntag verstanden, sind in weniger fantastischen Phasen mit dem gleichen Gefühl für den BVB da wie jetzt. Dieser Zusammenhalt verkürzt die schlechten Phasen.«
Als 23. Meistertrainer seit Gründung der Bundesliga verspürte Klopp weniger persönlichen Stolz über das Erreichte, sondern eine tiefe Freude darüber, den Menschen in der Region einen Traum erfüllt zu haben. Einen Traum, von dessen Erfüllung sie nach dem letzten Titelgewinn 2002 fast nicht zu hoffen gewagt hatten. Viel wichtiger war es, dass die Existenz des Vereins gesichert werden konnte, dass er überlebte. Ein Dank für den immensen Kredit, den der BVB unter seinen treuen Fans noch besaß, als die Banken ihn zu verweigern drohten.
Begehrlichkeiten der Konkurrenz: Wie lange bleibt das Team zusammen?
Für die jüngste Meisterschaft muss sich der BVB nicht schämen, denn sie war nicht mit einer existenzgefährdenden Schuldenpolitik erkauft. Sie wurde ehrlich erarbeitet – und das mit begeisterndem Fußball. Doch wie lange kann diese Fußball-Romantik aufrechterhalten werden, wie lange ist dieser Kader gewillt, sich gemeinsam weiter zu entwickeln und den Verlockungen anderer Klubs zu entsagen? Wie lange dauert es, bis die Automatismen des Geschäfts den nostalgischen Charakter verdrängen? Mit Nuri Sahin ging im Sommer 2011 der erste Schlüsselspieler zu einem europäischen Spitzenklub. Er wechselte zu Real Madrid. Weitere könnten folgen. Größte Begehrlichkeit weckt Jung-Nationalspieler Mario Götze, dem selbst der sonst in seinen Bewertungen so zurückhaltende DFB-Sportdirektor Matthias Sammer das Prädikat »außergewöhnlich« verleiht.
Ein kolportiertes Angebot des FC Arsenal für Götze über 40 Mio. Euro soll der BVB 2011 abgelehnt haben. Bayern-Präsident Uli Hoeneß bekannte öffentlich, Götze zukünftig gerne im Münchener Trikot zu sehen. Doch Borussia Dortmund kann es sich finanziell wieder leisten, seine Leistungsträger zu halten und somit die sportliche Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Er muss sein Tafelsilber nicht mehr verscherbeln. Die Teilnahme an der Champions League 2011/12 beschert zusätzliche Einnahmen. Doch was ist, wenn Verträge auslaufen und Spieler oder ihre Berater lukrativere Abschlüsse fordern? Steigt dann wieder der finanzielle Druck, der bei ausbleibendem sportlichen Erfolg für neue Explosionsgefahr sorgt? Klubchef Watzke schließt das aus. Dann müssten eben Spieler den Klub verlassen, der Verein werde nicht mehr über seine finanzielle Schmerzgrenze hinausgehen. Und so lange die Zorcs, Klopps und ihre Scouts weiterhin über ein gutes Näschen für Talente à la Shinji Kagawa,
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