Jürgen Zöller Selbst - Aus dem Leben des BAP-Trommlers
dann passiert? Dann fällt der Dirigent sofort mit einem Herzinfarkt von seinem Podest!“ Das Orchester kam, sah, baute auf, spielte – und verlor. Die Streicher strichen einfühlsam, das Holzgebläse fächelte. Und es kam der Moment, den der große Fritz prophezeit hatte. Da fuhren des Trommlers Keulen auf die Kessel und Bleche nieder, und schnurstracks, mitten im schönsten Höhepunkt, erstarb das stilvolle Streichen der Streicher unisono in einem hässlichen Geräusch – es klang, als hätte man bei einem Plattenspieler den Stecker heraus gezogen. Der Konzertmeister drehte sich fassungslos, aber mit einem Rest an Würde zur Rhythmusabteilung und sprach vorwurfsvoll: „Wir haben ja schon mit vielen Schlagzeugern gespielt, aber so was haben wir noch nie gehört! Das ist viel zu laut, also das geht nicht!“ Alle schauten Jürgen an, als wäre er ein Schmied, der fachfremd eine teure Kesselpauke zu Sondermüll gehauen hatte. Was blieb Jürgen anderes übrig, als klein beizugeben, fürs Erste. Also griff er zu Besen und höchstens Hotrods (des Drummers Gegenstück zur Unplugged-Gitarre). Dann aber drohte er: „Wenn wir den Gig spielen, dann mach ich keine Gefangenen, denn das wird auf CD und Video aufgezeichnet und das muss gut klingen.“ Etwas Bizarres hatte der vorangegangene Gefühlsausbruch im Orchestergraben aber schon. Denn im Regelfall reagierten die Musiker nur auf das Eintreten der gewerkschaftlich vorgeschriebenen Pausen. Dann allerdings ohne Verzug. Da stand man auf wie eine Eins und verließ gnadenlos die Probebühne, egal was man gerade spielte. Nach exakt der vorgesehenen Pausendauer kehrten sie zurück und wollten sofort exakt an der Stelle weiterspielen, an der sie unterbrochen hatten. Ein paar richtig engagierte Jungs waren auch dabei. Da war der Trompeter, der bei „Penny Lane“ das Solo spielte – der wollte von Jürgen dirigiert werden. Der war bereit, etwas anzunehmen. Was den Rock’n’Roll-Teil der Geschichte betraf, hätte er diesem wunderbaren Klangkörper gerne noch mehr gezeigt, wenn mehr Körperteile gefragt hätten. Aber dieses Dirigentengefühl, das kostete er bei der Live-Aufführung bis zur Neige aus. Diese wunderbaren Schlüsse, die endlosen Ritardandi gaben ihm die Macht über 60 Musiker. Wenn er vorgab, jetzt ist Schluss, dann erst war Schluss. Nicht eine Sekunde früher. Hier war er, der laute Rock-Trommler, der Chef im Ring. Bis zur Schmerzgrenze für das Orchester, wenn es sein musste. Für die Zuschauer auf dem Roncalliplatz sah alles locker und beschwingt aus. Wieder einmal war ein neuer Rekord auf der nach oben offenen Zappel-Skala erreicht.
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Vorwärts mit neuem Maschinenraum
Die PR-Maschinerie wurde erst wieder angeworfen, nachdem sich die Band konsolidiert hatte und das Amerika-Album mit den neuen Leuten (neben Werner Mario Agandona als Percussionist und Jens Streifling als musikalische Mehrzweckwaffe) aufgenommen war. In den Interviews danach wurde aber schon sanft Klartext geredet: Wolfgang Niedecken erzählte dem Kölner Stadt-Anzeiger „von einem Zustand der Lähmung und des Anschweigens, wie bei einer zerrütteten Ehe, die man nur für die Nachbarn aufrecht erhält“ und verglich den Zustand der Band vor
Amerika
hellsichtig mit „Kolbenfresser“. Jürgen hatte die Aufnahme-Sessions genossen, vor allem mit seinem lange vermissten Blutsbruder Werner am Bass. Die Stimmung in der Band hatte er aber immer noch als etwas merkwürdig empfunden. Da war sie wieder gewesen, die allseits unbeliebte Fraktionsbildung, diesmal in Form von Jens Streifling-Mobbing. Mit Suggestivfragen wie „findest du nicht auch, dass der Jens eine einzige Enttäuschung ist?“ hatten sich insbesondere Major und Hans Wollrath hervorgetan. Und dennoch:
Amerika
war ein herausragendes Album geworden.
Wenn eine Platte präsentiert wird, lädt man üblicherweise die Medienvertreter zu Lachsschnittchen und Alkohol, spielt das Material in einer Lautstärke vor, die nicht stört, anschließend zieht die Vierte Gewalt hinlänglich betrunken von hinnen und schreibt über das, woran sie sich noch erinnern kann. S o diesmal nicht, dachten sich die cleveren Strategen der Firma BAP und organisierten etwas, von dem die beteiligten Journalisten noch ihren Enkeln mit glühenden Ohren erzählen sollten. „De Zooch kütt …“ hatte in diesem Fall nichts mit Kölner Karneval zu tun. BAP sollte einige Zeit in Erich Honeckers Sonderzug mit lecker Salonwagen „leben und arbeiten“. Zusammengebaut
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