Jürgen Zöller Selbst - Aus dem Leben des BAP-Trommlers
Materials halt mit den Dylan-Coverversi-onen, von denen er haufenweise rumliegen hatte. Aber nach einigen Wochen eher zäher Proben zeigte sich: Wirklich bei der Sache war vor allem der Chef. Einiges klang ganz ordentlich, aber überzeugend war das alles nicht. Jürgen beschlich wieder das ihm schon unangenehm bekannte Gefühl wie in den Tagen, als er bei BAP eingestiegen war: Die gucken mich immer so an, als sollte ich jetzt die geniale Idee haben, wie man aus dem Schlamassel rauskommt. Die Atmosphäre bei den Proben war auch nicht das, was er jetzt gebrauchen konnte. Schadenfreude, wenn sich einer verspielt hatte, stundenlanges nervtötendes Business-Gequatsche … Für den Drummer, der Musik machen wollte, war das nichts weiter als zähe Scheiße. Also war er durchaus nicht beleidigt, als der Major folgerichtig vorschlug, dass die Angelegenheit wohl besser zu einem Soloprojekt von Wolfgang Niedecken werden sollte. Einzig Effendi Büchel bekannte sich zu Dylan, und den armen Jürgen vergaß man schlichtweg zu fragen. Entscheidende Mitarbeiter der Kapelle des Pater Maffay waren zufällig gleichzeitig verfügbar und auch willig: Gitarrist Carl Carlton, Trommler Bertram Engel und Bassist Ken Taylor. Dazu rekrutierte man den jungen, vielversprechenden Alleskönner Jens Streifling, den er beim „Arsch huh … Zäng ussenander“-Konzert kennen gelernt hatte. Diese Band hatte Feuer, während bei BAP zumindest im Moment eine Art galoppierendes Berufsbeamtentum ausgebrochen war. Die „Leopardefell“-Band spielte in kleineren Hallen als Wolfgang Niedeckens Stammband. Es war schwitzig, es ging direkt nach vorne los, es war Rock’n’Roll. Das muss einen Nachdenkprozess ausgelöst haben beim Vater beider Bands.
Rock’n’Roll hat viele Gesichter. Manchmal erscheint er auch in Gestalt einer netten singenden und tanzenden Altkleidersammlung. Etwa ein Jahr nach dem Chuck Berry-Ereignis erreichte Jürgen der Ruf der „Kelly Family“. Die hatten ein Jahr zuvor mit ihrer eigenen Firma schon 300.000 CDs verkauft, und setzten nun mit dem Album
Over The Hump
zum Sturm auf den Gipfel an. Drei Millionen Mal sollte es sich schließlich verkaufen, und die Familie war bereit, Geld in die Fort- und Ausbildung des 14jährigen Multitalents Angelo zu stecken. Aber nur, wenn das ordentlich Geld gibt, nahm sich Jürgen vor – und es gab ordentlich Geld, eine Menge Spaß und interessante Einblicke in das Familienleben der Kellys. Für eine Studiomusiker-Tagespauschale ließ es sich gut Schlagzeuglehrer spielen. Besonders zu den Rahmenbedingungen: Wohnen im
Hyatt Regency Hotel
zu Köln, stetige Nachfragen von Maite Kelly, ob sie denn selbst hergestelltes Rührei bringen solle oder Kaffee zur Stärkung des Pädagogen. Die Kellys wohnten in ihrem Hausboot, das am Rheinufer in Deutz vertäut war, am Rheinufer selbst aber war das eigentliche Hauptquartier untergebracht. In einem dreigeschossigen Bau war der Proberaum für die Trommler. Daneben lag der gemeinsame Übungsraum für die gesamte Family und eine Wäscherei, in der eine Angetellte Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat, die erlesenen Kleidungsstücke der Kelly Family wusch und bügelte. In einer Lagerhalle, die zum Haus gehörte, standen acht Truck-Container. Ein Blick dort hinein und der Betrachter fühlte sich wie Alice im Wunderland: Berge und Aberberge von Klamotten, nichts sonst. Im nächsten Raum stand ein großes Klavier, an dem pflegte Barby zu sitzen und verträumte, feen-artige Weisen zu spielen, zwischendrin schwebte sie feenartig, die Füße in Ballettschühchen gehüllt durch den Raum. Weiter: Hinter der nächsten Tür verbarg sich ein professioneller Kickbox-Ring. Hier trainierte die ganze Familie unter Anleitung des Security-Chefs Kickboxen. Die eigene Videoproduktionsfirma, die Jimmy Kelly unterstand, logierte ebenfalls in diesem Haus. Musikalisch aber tanzten alle nach Paddys Pfeife, den Jürgen als einen unfassbar talentierten Jungen kennen lernte. Und über allem schwebte der Vater. Manchmal konnte Jürgen miterleben, wie er seine Tochter Maite abkanzelte. Dann dachte er: Wenn mich mein Vater so behandeln würde – ich wäre sofort weg. Aber der alte Kelly war nicht sein Vater und im Keller waren zwei Schlagzeuge aufgebaut, also konnte es losgehen.
Jürgen stand meist am Rheinufer, wenn er seinem Schüler eine Aufgabe gestellt hatte. Während der zum Metronom immer wieder dieselben Drum Patterns klopfen musste, stand der Herr Lehrer draußen und
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