Jürgen Zöller Selbst - Aus dem Leben des BAP-Trommlers
auftut, wenn er auf halbem Weg umdreht. Jürgen guckt nach links, wo Locke ihn lausbübisch angrinst und diese halbe-halbe Handbewegung macht, die signalisiert: „Is’ ja grade noch mal gut gegangen.“ Vier oder acht Takte später nimmt der Zappelige noch mal konzentriert Anlauf, haut eines dieser für ihn typischen Fills rein, das nach dem lautstarken Abstieg über die ganze vierstöckige Tom-Tom-Treppe auf mit Snare und Crashbecken zugleich auf dem Offbeat landet. Der Ostfriese dreht sich um. Sein Drummer hat sich eben gerade mal wieder selbst zum Ritter geschlagen.
BAP spielen als allerletzte Zugabe in diesem Sommer einen neuen Song, der sich mit dem Schicksal von Kindern in Norduganda beschäftigt. Kinder, die den Angriffen der marodierenden Mörder-Banden des Joseph Koni entfliehen wollen, und deshalb vor Einbruch der Dunkelheit aus ihren Dörfern in die Stadt Gulu marschieren, barfuss, die ganz Glücklichen immerhin mit einem Paar Flip-Flops an den Füßen. Dort gibt es „eine sichere Nacht“, aber wenn sie morgens in ihre Dörfer zurückkehren, wissen sie nicht, ob ihre Eltern noch leben. BAP stellt den Song als exklusiven Download für die
World Vision-Homepage
bereit. Also schneidet Mischer Achim mit, in der Hoffnung auf die definitive Version. Jeder, der die Band in diesem Sommer live bei mehreren Konzerten erlebt, hört ein eindringliches Thema, das fast wie Programmmusik den Text transportiert. Zusammengehalten von Werners hypnotischem Bassmotiv, auf dem Helmut seine sphärischen Gitarrenschwaden in die Nacht jagen kann, ohne dass der Text, der Gesang in den Hintergrund gedrängt wird. Das muss noch reifen. Aber auch das ist typisch BAP: die erste Reihe, in der Wolfgang Niedecken Abend für Abend in einige vertraute Gesichter blicken kann, egal wo die Band gerade spielt, wird es zumindest merken: Da entwickelt sich was. Der Song sucht nach seiner Vollendung. Als sie in Konstanz von der Bühne kommen, ist Helmut total begeistert von der gerade gespielten Version. Man hat es gehört und gesehen, wie er auf Werners opulentem Bassriff mit seinen aufeinandergetürmten Klangkaskaden abgefahren ist, wie er sich da zurückgenommen hat, wo der Text ganz vorne zu sein hatte. „Für mich war’s noch nicht die beste“, sagt Jürgen. Er experimentiert noch: Zu Beginn spielt er nur Bassdrum und Standtom, dann Hi-Hat und Snare mit aufgelegtem Stock, dann erst setzt er sich mit der Snare auf die Spur des wuchtigen Kopalschen Bassriffs. Zuviel Schlagzeugerlatein? Einspruch, Euer Ehren: Genau das, worüber sich der ehrenwerte Herr Zöller da den Kopf zerbricht, macht einen großen Teil der dramatischen Wirkung von Musik aus. Eine uninspirierte Schlagzeugspur kann den besten Song versauen, das ist ein Naturgesetz. Aber eine inspirierte (Gitarristen, Keyboarder und Sänger jetzt mal weghören) kann mehr als die halbe Miete sein.
Es wird spät an diesem Abend. Erst mal Adrenalin abbauen, ausdampfen, runterkommen. Nach einer Stunde schwärmt die Band dann aus, noch einen Absacker auf dem Festivalgelände zu nehmen. Obwohl es schon weit nach Mitternacht ist – die Hardcore-Fans sind immer da. Christine zum Beispiel, die war schon mittags im Hotel. Aus einem Dorf irgendwo im Badischen kommt sie, vom Malen leben will sie vielleicht mal, sie hat zwei Berufe, den eigentlichen verrät sie nicht. Seit Wolfgang Niedecken mit der Leopardefell-Band getourt ist 1995, war sie „immer mal wieder“ dabei. Frauen wie sie (und es sind durchweg Frauen) wird man in den folgenden Tagen immer wieder treffen. Hat sich jetzt jemand vorgestellt, BAP wäre im Jahr 2007 umlagert von hysterischen kreischenden Mädels? Quatsch, das natürlich nicht. Es ist nicht mehr die Zeit der Groupies. Puppa ist längst pensioniert. Es sind Frauen plus/minus 40, die alles andere als spleenig oder hysterisch wirken, und die auch meist in geordneten Familienverhältnissen leben … Viele Hallos gibt’s in diesem idyllischen Festivalbiergarten. Die „Amateure“ erkennen die Bandmitglieder und fragen nach Autogrammen, die „Profis“ brauchen natürlich längst kein Autogramm mehr, die suchen das Gespräch. Oft auch noch lange nach Mitternacht in der Hotelbar.
JÜRGEN ZÖLLER … SELBST: Es ist jetzt nicht unser bewusstes Bestreben, dass die Bar voller Fans hängt. Ich kann dieses Phänomen nicht genau definieren. Ich glaube, es hat nichts mit uns persönlich zu tun. Es ist einfach so, dass die zum Konzert kommen und sich ein Hotel leisten können und
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