Jürgen Zöller Selbst - Aus dem Leben des BAP-Trommlers
für die kommenden Stunden. Schon die drei Startnummern „Wahnsinn“, „Waschsalon“ und „Ahl Männer, aalglatt“ verlangen vom Drummer, seine Grobmotorik vom ersten Ton an auf Dienstgipfelhöhe zu katapultieren. Hinter den zwei Türmen von Werner Kopals wuchtiger Bassanlage verborgen, in Armlängen-Reichweite von jenem Hocker, sitzt Abend für Abend ein Mann, den das Publikum nicht sieht. Allenfalls mal eine Hand, die ein Handtuch oder ein paar Sticks hoch reicht. Ralf Mikolajczak ist Drum Roadie – oder Drumtech (für Technician), was etwas studierter klingt, und das durchaus mit Berechtigung. Seine Aufgabe: Dienstleister, ganz besonders während des Konzerts. Ralf sitzt auf einem ganz tiefgelegten Drumhocker links neben dem Schlagzeugpodest und ist allzeit bereit. Er reicht dem Trommler die Sticks, er reicht das Handtuch, er nimmt das verschwitzte Handtuch, das ihm zufliegt, wieder entgegen, und er sorgt dafür, dass die Clicks (das Metronom, das der Drummer über das In Ear-Monitoring zugespielt bekommt) zum richtigen Zeitpunkt und vor allem für den richtigen Song starten. Ralf Mikolajczak ist Jürgens Drum Roadie seit der
Amerika
-Tour. Ein Mann, dem man von weitem ansieht, dass er auch in unübersichtlichen Situationen den Überblick bewahren kann. Groß, breit, Brille, Schädel haarlos, deshalb wohl auch der Spitzname „Locke“.
Das Intro läuft und auf das Stichwort „… so klingt das bei Wolfgang Niedeckens BAP“ startet Locke den Click, viermal auf Holz geklopft, der Drummer schlägt zu. Da! Rechts immer voll ins Crashbecken. Wenn es sich nicht bewegt, schlage es mit einem Stock solange, bis es sich bewegt. Und es bewegt sich doch, Holz auf Metall, Hammer auf Amboss. Die Ränder des Crashbeckens flirren. Die Fotografen im Fotografengraben kriegen jetzt scharfe Bilder nur noch von den Trommelkesseln und Beckenständern. Der Rest ist Bewegung, die in alle Richtungen explodiert. Höchste Konzentration bei gleichzeitig höchstem Adrenalinausstoß. Zöller schaut auf seine Trommeln, als würde er sie anbrüllen. Er kaut jedes gespielte Stück durch. Im wörtlichen Sinn. Das sind diese charakteristischen Mundbewegungen, die aussehen wie Kaugummikauen auf Speed, und gleichzeitig den Text mitsingen. Dabei wird er nicht so gern fotografiert, weil er findet, es sieht bescheuert aus. Aber es ist ein Markenzeichen, und jeder, der einmal genau hingeschaut hat, ahnt: Wenn er mit geschlossenem Mund spielt, muss er krank sein. Er frisst die Songs und spuckt sie als Groove wieder aus.
Jürgen hat Spaß. Man sieht es. Spätestens nach dem „Liebeslieder im Sitzen“-Teil lockern sich die Gesichtszüge, wenn die große Rock’n’Roll-Lokomotive wieder Fahrt aufnimmt. Er grinst zu Locke rüber, wie das sprichwörtliche Kind im Dreck. Ein Gesichtsausdruck, der vor allem sagt: „Scheiße, sind wir heute wieder gut …“, das aber ganz ohne Arroganz. Die Kommunikation zwischen dem erhöhten und dem tiefer gelegten Hocker läuft über kleine Gesten, nach über einem Dutzend Jahren intensiver Zusammenarbeit muss das so funktionieren. Man kennt sich, Locke weiß die „Ankündigungsblicke“ des Mannes auf dem Schlagzeughocker einzuschätzen. Zappelskala, Stärke 14,5. Helmut singt „Heroes“. Der Trommler rollt in schwerer See, schon übermütig jetzt. Mittiges Tempo, da lässt es sich gut jedweder Eingebung folgen und über Snare und Toms ein elementargewaltiges Fill von links nach rechts hieven -der Blick geht zum Drumtech, will sagen „Jetzt kommt einer ganz speziell für dich“. Die kommen meist eindrucksvoll, aber da sie alle nicht hundertprozentig geplant sind, kann es schon mal passieren, dass am Ende eines solchen Fills nicht mehr genug Schlagzeug da ist. Oder umgekehrt – es bleibt noch zu viel Schlagzeug übrig. In beiden Fällen hört der Konzertbesucher davon nichts, der Drumtech aber sehr wohl. „We can be heroes just for one day.“ Aber hallo! Das inspiriert. Jürgen setzt an, rührt und schüttelt die Snaredrum kräftig durch, wechselt teuflischen Blickes, Mund weit aufgerissen, auf die obere, kleine Hängetom („Bleib da! Ich krieg dich!“), und macht auf halbem Wege kehrt, holt sich wieder in den Grundbeat zurück. War wohl doch zu viel Schlagzeug noch übrig, rechts unten. Und doch klingt es noch ordentlich, denn solche Entscheidungen werden in Bruchteilen von Millisekunden getroffen, und der Trommler muss immer wissen, wie er wieder rauskommt, ohne dass sich ein Loch in der Musik
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