Jürgen Zöller Selbst - Aus dem Leben des BAP-Trommlers
Quereinstieg ins Charakterfach gelten lassen, aber ganz sicher war er da nicht. Also sagte er erst einmal diplomatisch „Ja, was soll denn das?“ Aber als er das sagte, hatte er innerlich schon zugesagt.
Wer heute im Internet Informationen zum Film „Reisender Krieger“ sucht, der findet nicht viel, aber was zu finden ist, deutet auf hohe Kunst hin. Zum Beispiel das hier: „’Reisender Krieger’ erzählt, der schönen Vieldeutigkeit seines Titels treu, von einer mythischen Figur in höchst realer Umgebung. Ein Handelsreisender namens Krieger ist für die Kosmetikfirma Blue Eye unterwegs und begegnet, teils berufsbedingt, teils aus privatem Interesse, Menschen on the road. Seine Reise ist eine moderne Version der Odyssee; zugleich strahlt er die Einsamkeit des Samurai-Kriegers aus. Christian Schocher, ein Regisseur „vom Rand“, aus der Schweiz, verknüpft das ganz Alltägliche auf höchst irisierende Weise mit fast legendenhafter Fiktion und entdeckt ein Zwischenreich, in dem der Gegensatz von Aufzeichnung und Erzählung (mitsamt den Möglichkeiten der billigen filmischen Apparatur) sich aufzulösen droht, und aus dem man nur kommt, wie man hingelangt ist: durch ein ständiges Weiter.“
Genauso war es. Oder in anderen Worten: Der etwas von der Rolle gerutschte Kosmetikvertreter fährt jahrein jahraus mit seinem alten Citröen durch die enge Schweiz, hat tagsüber ausschließlich Kontakt mit den Damen aus Kosmetiksalons, mit der Gattin pflegt er telefonischen Verkehr. Abends wackelt er durch ungemütliche, entweder zu grell oder zu wenig beleuchtete Kaschemmen und haut sich die Birne zu, diverse Liebschaften gibt es auch. Meistens regnet es wie in französischen Filmen oder später im klassischen finnischen Rauch-und Schweigefilm. Das ist alles sehr schön langatmig und ohne wirklich spürbaren Regieeingriff, bis dann Krieger nach gefühlten drei Tagen (in Wirklichkeit sind es rund zwei Stunden) im Niederdörfli in der Zürcher Altstadt um die Häuser zieht, und jetzt …
An der Stelle nun setzte die Rolle des Mannes ein, der doch Klaus Kinski nicht ganz so ähnlich sah, und ein kokainschnupfender Rockdrummer sein sollte. Es gab aber kein Drehbuch. Also führte sich der Trommler mit einem ohrenbetäubenden Lärm ein, in dem er das tat, was er schon mit 16 in der Frankfurter
Fliegerklause
getan hatte. Er trommelt, allerdings auf einen wackligen Blechtisch, bis Krieger auf ihn aufmerksam wird. Und der schaut erst fragend und fragt dann später: „Ja kenn ich dich? Aus dem Fernsehen oder so?“
Ab diesem Moment musste Jürgen sich auf seine Intuition verlassen. Einen Text oder eine Storyline hatte Christian Schocher ihm nicht gegeben, allein die Vorgabe: „Der Krieger sieht in dir so was ähnliches wie das, was er sich nie zu sein getraut hat, und du führst ihm so ein bisschen den Irrsinn seiner Existenz vor.“ Oder so ungefähr. Damit ließ sich leger arbeiten. Die beiden Darsteller zogen durch verschiedene Beizen, die Kamera immer hinterher. Es gab eine lange Einstellung, in der Jürgen sehr schweigsam, sehr macho-like mit Lederjacke und Stiefeletten ausgerüstet in einem Durchgang zwischen Gaststube und Bar steht und einfach nur Präsenz verbreitet und irgendetwas in den Händen bewegt, vielleicht einen Schlüsselbund, vielleicht die Sambapfeife, mit der er später einen irrsinnigen Lärm machen wird. Er steht einfach da und wirkt wie eine brisante Mischung aus Arroganz und Unsicherheit. Solange, bis sich Krieger verfolgt fühlt.
Hinaus auf die Straße: Sie ziehen weiter durch die endlos scheinende gewundene Gasse, die sich durchs Niederdörfl windet. Die Kamera hängt lange fast reglos auf der Ödnis einer Diskothek, in der Menschen selbst dann leer vor sich hinzustarren scheinen, wenn sie sich vordergründig ekstatisch bewegten. Man sieht, wie Krieger und sein nicht mehr abzuschüttelnder Begleiter ins Gespräch kommen, Jürgen erzählt an ein Schaufenster gelehnt die Kurzform dessen, was hier bisher zu lesen war: Das Leben des Hector Zappel.
Als das Filmteam und seine Protagonisten weiterzogen, fing es schon an, hell zu werden. Weiter, weiter wollte Schocher, sie bewegten sich in Richtung Hauptbahnhof, wollten ihr Road Movie in die Einkaufsstadt unter dem Bahnhof verlagern. Auf der Straße stand eine erregt debattierende Gruppe Ausländer. Jürgen kannte ihre Sprache nicht, vermutete Nordafrikaner und bemerkte gleichzeitig, wie sie auf die Kamera reagierten: Sie hielten Schocher und sein Team
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