Jürgen Zöller Selbst - Aus dem Leben des BAP-Trommlers
für Fernsehleute und begannen nun ihrerseits, den Film zu okkupieren und vor der laufenden vermuteten TV-Kamera über ihre miese Behandlung und die anderer Fremder in der Schweiz zu schimpfen. Der Trommler und der Vertreter sahen in dieser Szene reichlich ratlos aus, und Jürgen war es wohl auch, während gedreht wurde. Aber die Kamera lief unerbittlich weiter, also blieb nichts als die Flucht nach vorn. Da entzogen sie sich nun der Debatte, die beiden traurigen Gestalten, in der Hand ihre Flaschen und mit unentschlossenem Schritt. Die Kamera lief weiter, folgte ihnen in das unterirdische, weitgehend menschenleere Einkaufszentrum. Dessen einzige nächtliche Bewohner einige verschwiemelte Typen waren, die in den Telefonzellen herumlagen. Der Kameramann öffnete nach dem Zufallsprinzip irgendeine Tür und wurde sofort konfrontiert mit einem der nächtlichen Bewohner, der fahrig hoch zuckte und ihm wie in einem lange trainierten Reflex seinen Pass entgegen- und auch in die Kamera hielt und gleichzeitig zu versichern begann, dieser Pass sei gültig.
Die Kamera machte einen Schwenk und fing in der nächsten Telefonzelle einen Zweimeter-Typen ein. Zunächst sah man ihn nur von hinten. Er wählte eine Nummer und legte wieder auf. Er wählte eine weitere Nummer und legte wieder auf. Er wählte weitere Nummern. Neben ihm stand ein Ghettoblaster, aufgedreht auf höchste Lautstärke. Er wählte wieder eine Nummer, hielt den Hörer an den Ghettoblaster und legte wieder auf. Die Kamera lief weiter. Der Mann wählte weiter Nummern, spielte so den per Zufallsprinzip Angerufenen „seine“ Musik aus dem Ghettoblaster vor, aber kriegte natürlich keine Reaktion von Seiten seiner „Gesprächspartner“. Dann ging ihm womöglich noch das Kleingeld aus (oder hatte er die ganze Zeit nur Nummern gewählt ohne Geld einzuwerfen?) und da riss ihm der Geduldsfaden. Plötzlich öffnete der Riese in der Telefonzelle ruckartig die Tür, schleuderte den Ghettoblaster, den Schuldigen, auf den kalten harten Neonlichtbetonboden. Das phonstarke Gerät zerstob in seine Teile, der Zerstörer betrachtete den Schaden, fing an, die Einzelteile wieder einzusammeln und verließ damit den öden Ort.
Hier gab es einen Schnitt, und in der Schlusssequenz fand sich Jürgen am Steuer von Kriegers Citröen, auf der Fahrt zum Flughafen. Krieger saß sturzbetrunken auf dem Beifahrersitz, während sein Chauffeur sang und auf dem Lenkrad trommelte. Der Film endete mit einer Art Indianertanz, den der „kokainschnupfende Rockschlagzeuger“ um den vom Wodka jetzt schon restlos zernierten Handelsvertreter aufführte. Jürgen rappte „Automatic Pushbutton Remote Contol“, einen Song der „Last Poets“. Beziehungsweise die erste Strophe, die er auswendig kannte, und die ihm gerade in diesem Moment durch sein Schauspielerhirn rauschte. Krieger aber nahm seine Wodkaflasche und warf sie gegen die Leuchtreklame.
JÜRGEN ZÖLLER … SELBST: Da war ich, da war die Kamera – es war wie eine Jamsession, eine Jamsession ohne Instrumente. Das Ganze, die Dreharbeiten, der Kontakt zu Schocher, wie das alles zustande kam, das war Rock’n’Roll auf irgendeine Art und Weise. Es gab keine Berührungsängste. Wir kannten uns, das war ein Kumpel von mir. Was der da wollte von mir, das konnte ich machen – wenn er das sehen will, dann soll er das sehen, war meine Devise. Das war einfach: wir gehen jetzt raus in die Nacht und machen einen Film dabei. Mein Auftritt war die Aktion einer Nacht, er hat wenig geschnitten, das wurde quasi in Echtzeit gedreht. Er wollte den Film nie kürzen.
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Der Schlagzeug-Genscher: Bei Maahn und Fendrich
„I hope I Die before I get old“ hatte Pete Townshend in „My Generation“ gesungen. Das, so wusste Jürgen jetzt, strebte er nicht als vorrangiges Lebensziel an. Aber in die Ruhe nach diesem altersweisen Entschluss rappelte erneut das Telefon, Jo Heuser war’s, Keyboarder mit Kontakten: „In Köln gibt es eine total geile Band, die sind die beste englisch singende Band in Deutschland. Die brauchen einen Schlagzeuger, weil denen ihr Drummer einen anderen Gig hat, bei dem er mehr Geld verdient, fahr’ doch mal da hin. ‚Foodband’ heißt die Band.“ Da konnte Jürgen nun aber doch nicht nein sagen. Wolf Maahn, der Sänger, holte ihn ab, sie warteten am Proberaum der Foodband und hielten Ausschau. Ein roter Volvo näherte sich, schnell und laut. Der Fahrer bremste, es staubte, die Tür flog auf. Der Mann, der ausstieg, hatte
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