Jürgen Zöller Selbst - Aus dem Leben des BAP-Trommlers
welcher Wand sie lose heraushing. Später, bei der ersten Tour als „richtige Band“ spielte man schon mal für 80 verlorene Seelen im Hannoveranischen
Ballroom Blitz,
wo der Ballroom locker 1000 Menschen fasste. Für Jürgen bedeutete das: Weiter Studiojobs machen, und zwischendurch auch mal wieder ran an die Plattenspieler, im ersten Band-Jahr mindestens.
JÜRGEN ZÖLLER … SELBST: Mit Andy Newmark – das waren eben wieder diese Drummer-Gespräche, wie früher in den 60ern. Ich hab’ ihn gefragt, ob er überhaupt übt, und wenn ja, ob er dazu ein Heft benutzt. Er sagte, er könne mir ein Buch „Accents & Rebounds“ von Lawrence Stone empfehlen. Einfach Stockübungen, er wüsste nicht, ob man das Buch in Deutschland bekommt, ich sollte ihm meine Adresse geben. „Ich schick’ es dir, wenn ich es irgendwo sehe.“Ich habe natürlich kein Wort geglaubt. Ein halbes Jahr später mache ich den Briefkasten auf, und da war ein Päckchen und ein Brief: Hallo Jürgen, ich bin gerade in London, arbeite an The Final Cut mit Pink Floyd, war in einem Musikgeschäft, um ein Schlagzeug zu mieten und finde diese Buch, hier isses, fang mit ganz langsamen Tempi an und wenn du das Metronom nicht mehr hörst, dann bist du gut. Viel Spaß dabei, es war schön, dich kennen zu lernen, Andy Newmark.
Aber: Die Band war nun auch offiziell eine Band und trug den Namen der ersten Soloplatte: „Wolf Maahn und die Deserteure“. Für die erste wirkliche Bandplatte wurde im Odenwald geprobt, auf dem Bauernhof eines Freundes von Jürgen, eines Malers, genauer gesagt: Hollis Bauernhof – Holli, man erinnert sich, war der Vortänzer aus dem
Fichtelclub
im Freibad, der erste Bassist des Trommlers Hector und später der Erfinder des einzigartigen „Joints kommen aus dem Kopf“-Plakats. Die Deserteure wuchsen zu einer schlagkräftigen Einheit zusammen. Man hörte ihnen an, dass sie musikalisch an einem Strang zogen, man hörte dem fertigen Album an, dass es aus einer Proberaumsituation heraus eingespielt war. Sie merkten, dass sie – geschäftsmännisch betrachtet – in eine Marktlücke hineinsangen. Diese Art soulige, angefunkte Musik mit der angerauhten Kante voll aus dem Leben gebrochenen Rock’n’Rolls, das machte zu dieser Zeit in Deutschland niemand. Klar, dass des Sängers musikalische Vorlieben deutlich in der Stimmung der Songs mitschwebten. Die ganze Galerie der Tamla Motown-Helden sang unhörbar und doch unüberhörbar Background im Deserteure-Chor, Heilhecker spielte dazu eine Gitarre, die nach Erdkrume und Benzinkanister roch, und die Rhythmussection konnte trotz all der federnden Eleganz jederzeit die Durchschlagskraft einer Abrissbirne vorzeigen, wenn das gewünscht war. „Bisse und Küsse“ eben, so hieß auch die Platte, die 1983 herauskam. In den Texten artikulierte sich Wolf Maahn gewohnt engagiert, war selten plakativ und verfiel schon gar nicht in irgendeinen vermeintlichen Jugendjargon, er ging ja auch schon auf die 30 zu und hätte sich dann selbst bald nicht mehr trauen können. Die Chemie stimmte, zunehmend auch die Mathematik. Die Plattenfirma stand hinter der Band, es gab einen Vertrag über mehrere Platten, man war bereit, in langfristige Aufbauarbeit zu investieren. Unterdessen wuchs die Fangemeinde via Mundpropaganda. Dort, wo die Deserteure einmal gespielt hatten, kamen beim darauf folgenden Mal mehr Leute.
1984 war das Jahr der Hektik. Hans Dietrich Genscher war der Außenminister, von dem die Mär ging, er begegne sich auf entgegenkommenden Transatlantikflügen gelegentlich selbst und winke sich dann huldvoll zu. Jürgen Zöller fühlte sich ähnlich. Am 1. Juni 1984 spielte er an einem lauen Samstagabend in Graz Open Air für den österreichischen Dichterfürsten Fendrich. Das nämlich tat er zu der Zeit und seit einiger Zeit schon parallel, gleichzeitig, hintereinander und zwischendurch. Aber das war eine andere Geschichte, die im nächsten Kapitel erzählt werden soll. Man war ja jetzt immerhin Sonderbeauftragter des Rock und des Roll. Man konzertierte nun also mit dem Stellvertreter Nestroys auf Erden wohlbesonnt auf dem zum Brüllen schönen Grazer Marktplatz, man speiste anschließend, man stieg zum Manager ins Auto, man fuhr nach Wien. Man setzte sich in ein Beisl und wartete bis der Aeroplan abhob, das aber geschah am Morgen des 2. Juni um sieben. Man landete in Zürich, es kam wieder eine Limousine mit einem anderen Manager respektive Managersendboten drin, wer wusste das schon noch
Weitere Kostenlose Bücher