Jürgen Zöller Selbst - Aus dem Leben des BAP-Trommlers
so genau jetzt, ach. Man fuhr nach … Dings, nach wie gleich? Na, über die Grenz, in die Dings. Die Schweiz. Wohin? „St. Gallen“, murmelte der Sonderbeauftragte. Genscher? Da hatte man kein Hotelzimmer, da hatte man Schlaf. Mit selbigem kämpfend ersaß man sich die Berechtigung, mittags auf die Bühne zu steigen und mit dem Dings, dem Wolfgang Amadeus, Quatsch, dem Maahn Wolf der Sonne entgegen zu trommeln. Denn man war ja schließlich der Sonderbeauftragte des Rocks und des Rolls. Oh Gott, war das furchtbar. Die Drumsticks schwer wie Blei, die Felle eine klebrige Masse. Nein, man schaute an sich herab. Immerhin hatte man keinen gelben Pullunder an. Ein frisch aufgetauchter Sendbote kippte den Trommler in Zürich in ein sinnloses Flugzeug, es fuhr schäumend ins Salzburgische, wo man einem abendlichen Open Air mit Wolfgang Amadeus Dings, den Johann Nestroy, ah den Fendrich … also musikalisch herumfuhrwerkte. Ja, doch, wie hatte man nur vergessen können, dem Dichterfürsten, in dessen Lohn und Brot man … Dings? Was? Konzert schon vorbei? Geile Sache, das. Man gedachte, einen langen Schlaf zu tun, denn dieser letzten Tage Qual war groß gewesen. Ein Mann im gelben Pullunder sprach im Traum zu Jürgen: „Nu schau emol, das Geldverdienen ist das eine, aber wolldesd du nisch … etwas gürzer dredn?“ Aber das mit dem Dichterfürsten, das wollen wir schon noch genauer erörtern. Später … jetzt erst das wirre Jahr 1984.
1984 hoben die Deserteure ab. Es war irgendwo in Deutschland, genauer in Bingerbrück, Soundchecktime, da kam Maahn mit seiner linkshändigen Klampfe, setzte sich vor seine Jungs. „Hier, hört mal, macht mal“ So machte er das öfter. Sie hörten von den Metamorphosen einst aufmüpfiger Menschen „Früher hat er auf Parties den coolen Oberfreak gemimt. Heute sitzt er ‚rum und grübelt wie er dich am coolsten linkt.“ Maahn haute in die Gitarre, das war ein schneller Song, das war ein Rock’n’Roll-Song, der nichts weniger forderte als sich seine Ideale nicht austreiben zu lassen. Gut, Böswillige würden sagen: Das eigensinnige Beharren auf Verlängerung der Pubertät bis weit übers dreißigste Lebensjahr hinaus. Aber in jedem Fall ein Gegenentwurf zu Pete Townshends „Hope I die before I get old“. Die Gedanken machte sich Jürgen natürlich in jenem magischen Moment in Bingerbrück nicht. Er dachte eher: „Oh Mann, ist das gut“, und dann auch vorausschauend: „Oh Mann ist das schnell.“ So eine richtig adrenalinverseuchte Nummer. „Ich brauch’ das Fieber zurück, das alte Fieber zurück“, sang Wolf und für Jürgen war es ein Schlüsselsong, sofort und vom ersten Moment an. Er hörte die Worte, spürte intuitiv: „da haben wir was“ und „genauso isses“, und wie immer in solchen Momenten brach bei ihm absolute Loyalität zum Urheber des Songs aus. Er vergaß zum Beispiel, dass er den Song eigentlich sicher aus rein musikalischen Gründen nie besonders gerne spielen würde, und schaffte sich rein – wie alle anderen in der Band. In kürzester Zeit stand das Ding spielreif da. Die spezielle Eigendynamik der Deserteure hatte wieder zugeschlagen. Eine Eigendynamik, die jedenfalls nicht durch gemeinsamen Drogenkonsum entstanden war. „Irgendwo in Deutschland“ wuchs als wirkliche Bandplatte in einem Proberaum in Köln, Stück für Stück flog sie Wolf Maahn aus dem Nichts zu und die Band wusste immer genau, wie es am Ende klingen musste. So ließ sich arbeiten. Zwei Jahre später entschied Wolf Maahn: genau so wolle er nicht arbeiten. Wie nennt man so was? Ironie des Schicksals? Oder besser einfach vermaledeite Hetärensenf-Remouladenkacke? Aber noch war es nicht soweit.
17
Die Hesse komme
Jürgen nahm eine Auszeit bei den Deserteuren. Ein wüster Krach aus Darmstadt, Frankfurt, Offenbach wollte unterdessen aufs Tonband gebannt werden: Die Hesse komme un wolle ihn als Broduzent. „Ei, des kammer nedd verschibbe“, dachte sich der jedwedem Spaß zugeneigte Trommler und sagte schnurgrad zu. Und es wurde ein Spaß. Die latente Schoppigkeit dieser Band namens Rodgau Monotones (die im Übrigen nur ganz wenige Originalhessen enthielt) führte zu jener Stadionhymne, jenem völlig unschuldigen Chorgesang der Bembelhaftigkeit, deren Erkenntnisgewinn in der beiläufig vorgetragenen Feststellung gipfelte: „Unser David Bowie heißt Heinz Schenk!“ Und da stand im Studio der ganze Chor von fast drei Dutzend Musizisten, Beistellsängern, Zufallsgästen in einem
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