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Jürgen Zöller Selbst - Aus dem Leben des BAP-Trommlers

Jürgen Zöller Selbst - Aus dem Leben des BAP-Trommlers

Titel: Jürgen Zöller Selbst - Aus dem Leben des BAP-Trommlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Zoller Selbst
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weiter und baute etwas drumrum, nahm erst zwei, dann drei, dann alle Toms, verdoppelte das Tempo. „Billigkram“, dachte er bei sich, aber ein Blick ins Publikum bestätigte: das funktionierte ja tatsächlich. Ein Raunen und Grummeln erhob sich vorschriftswidrig im Saal. Auffälliges Benehmen und unerlaubter Beifall während der Darbietung wurden virulent. Einige erhoben sich gar von den Sitzen in einer Art verhaltener Ekstase. Für chinesische Verhältnisse geradezu euphorische Beifallsbekundungen seien das, klärte später Steve Borgs Bruder die Band auf – der musste es wissen, der war Sinologe. Ungeklärt blieb allerdings zunächst die Frage, warum nach etwa eineinhalb Stunden Konzertdauer einzelne Zuschauerblöcke geschlossen aufstanden und geordnet den Saal verließen. Erst später erfuhren die Musiker, dass die Menschen von ihren Fabriken in organisierten Busreisen herangeschaffi worden waren. Und die Busse fuhren eben gestaffelt wieder ab, damit es nicht zu Ballungen und Verwerfungen kommen konnte, gar zu unerlaubten Beifallskundgebungen oder Zugabeforderungen. Nein, letzteres sicher nicht, das galt als unhöflich.
    Die Nachwirkungen der Beinahe-Ekstase des Publikums spürte der Solist noch am darauffolgenden Tag bei der Fahrt durch die Stadt. An einer Ampel standen einige Männer mit Fahrrädern, einer schaute ins Auto, erkannte ihn offenbar und machte eindeutige Trommelbewegungen mit den Händen. Da fiel ihm wohlig ein: Oh Mann, ich bin der erste Drummer einer Rockband, der je in China ein Schlagzeugsolo gemacht hat!
    Die widersprüchlichsten Eindrücke beschäftigten die Musiker: Da war dieser Ansatz von Begeisterung, der einem vertraut vorkam und doch letztlich fremd blieb. Die Leute gingen nicht ab, sie staunten. So empfanden es die Musiker. Da waren die immergleichen Bilder von den Tischlein der ersten Reihe, an denen die älteren Herren mit den Freikarten in grauen Anzügen saßen, gleichmütig dampfende Teetassen vor sich. Beim letzten Ton sprangen sie zusammen mit Blumenmädels auf die Bühne, die riesengroße Blumensträuße übergaben. Morgens beim Frühstück erzählte Wolfgang Niedecken, dem die Blumen leid taten und der sie deshalb in sein Hotelzimmer mitgenommen hatte, er sei irgendwann mitten in der Nacht aufgewacht, habe all die Blumen gesehen und sei für einen Moment sicher gewesen, er sei tot.
    Dann musste man sich auch mit der Information auseinandersetzen, dass in solchen Hallen wie den von BAP bespielten auch öffentliche Gerichtsverfahren mit Todesurteilen endeten, die anschließend gleich neben der Halle vollstreckt wurden. Tragik und Komik lagen in diesen Tagen nah beieinander. Wolfgang besuchte eine Fabrik, aber man zeigte ihm dort nicht, wie gearbeitet wurde. Stattdessen kam der Direktor und führte eigenhändig grob misslingende Zaubertricks vor. Während unter seinem Mantel die Kaninchen deutlich sichtbar ruckelten, spielte die Fabrikkapelle dazu falsche Töne. Jürgen besuchte eine Musikschule, dort schenkte ihm der Trommler seine Sticks. Ach was, seine Stäbchen. Die ungelogen gerade mal etwa doppelt so groß waren wie Essstäbchen. Chinesische Rhythmen würden Jürgen dennoch ein Buch mit sieben Siegeln bleiben. Da war nichts Greifbares, kein zusammenhängender Rhythmus. Die Pekingoper, die er besuchte, blieb ihm in Erinnerung als ein von Geräuschen untermaltes Hörspiel, bei dem eindeutig das Bühnengeschehen im Vordergrund stand. Er empfand es als beklemmend, keinerlei Zugang zu den Menschen zu finden, nicht einmal an den Gesten ablesen zu können, wie sie tickten. Und er meinte, überall die Macht körperlich zu spüren, mit der das Leben aller Menschen in diesem Land kontrolliert wurde.
    Auf der Terrasse des
Friendship Hotels
traf sich so etwas wie die Pekinger Szene mit dem Ausland. Das Hotel war eine Stadt für sich: Studenten, Diplomaten, Gäste und ein Biergarten, in dem es das nach deutschem Reinheitsgebot gebraute Tsingtao-Bier gab, einen Zaubertrank für die fremdelnden Musikerseelen. Hier hingen die Musiker ab, hier konnte man Neuigkeiten erfahren und auch mal nach den Gepflogenheiten des Landes fragen. Mit den dringendsten Basisinformationen hatte man die Musiker schon vorm Abflug versorgt. Kurzgefasst lauteten die: Frauen und Drogen – Obacht, Vorsicht. Beides schwierig in China. Aha. Schnell kam man auf dieser Biergartenterasse ins Gespräch mit deutschen Sinologie-Studenten, irgendwann fragte einer aus der Runde der an kulturellen Besonderheiten

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