Jürgen Zöller Selbst - Aus dem Leben des BAP-Trommlers
hören, was auf der Bühne gesagt wurde. Eine Stunde zuvor hatte Ina Deter ihren Geschlechtsgenossinnen in Mozambique erklärt, daß sie sich ihrer vollen Solidarität gewiss sein könnten, denn auch die Frauen in Deutschland hätten Probleme. Ein Wissen, das ihnen sicher half beim täglichen Uberlebenskampf in ihrem zerstörten, bürgerkriegsgeplagten Land, in dem jeden Tag grauenvollste Verbrechen an der Menschlichkeit passierten.
Die Complizen sprachen anschließend die internationale, unmissverständliche Sprache des Rock’N’Roll: Kölsch in Maputo – überhaupt kein Problem. Die schon hoch enthusiasmierten Jungs und Mädels in der kochenden Halle warteten bei jedem Song, bis sie den Refrain orten konnten, und machten sich ihren eigenen Reim darauf: Was kümmerte sie Wolfgang Niedeckens Geschichte von den Typen mit dem weißlackierten Hanomag? Also wurde aus „Maat et joot“ einfach „Money Joe“. Bis 2 Uhr früh ging es zur Sache, am Schluss kamen die Musiker der Ina Deter-Band zurück auf die Bühne zu einer gemeinsamen Zugabe, einer Mischung aus „No Woman no Cry“ und „Knocking on Heavens Door“. Irgendwann entschloss sich Herr Zöller im jugendlichen Uberschwang gar zum zweiten Mal zu der für ihn extrem ungewöhnlichen Maßnahme: Er hub zu einer Art Schlagzeugsolo an. Konnte man ja mal machen. Hier kannte ihn ja keiner. Aber dafür liebte ihn hier jeder.
Die Eindrücke waren überwältigend und erschütternd auf dieser Reise. Es fing beim Hotel an. Jürgen wusste vorher schon ziemlich genau, dass das hier keine normale Rock’n’Roll-Tournee sein würde. Doch etwas wissen ist die eine Sache, etwas spüren die andere. Das hatte was zu tun auch mit diesem Text von Wolfgang in diesem gerade abgefeierten „Money Joe“, in dem er die Frage stellt, „ob der Köpcke lügt?“ Da lag er in diesem Hotelzimmer und brauchte sich nur umzuschauen. Der einstige Glanz – nur noch ein Abklatsch. Diese Wand da. Irgendwann vor Jahrzehnten hatte sie jemand gestrichen. Aber wann? Und in welcher Farbe? Der Putz fiel von den Wänden, als wollte er sich vor dem Gast entschuldigen.
Nebenan im Bad stand das Wasser in der Badewanne. Grün, schmuddelbraun und brackig. Als Reserve, denn fließendes Wasser war immer nur ein paar Stunden am Tag zu haben. Oder in der Nacht, genauso wie Strom. Die Not kannte keine Tageszeiten. In all dem Elend behielten die Kellner ihre Würde. Wäre es nicht zum Weinen gewesen, man hätte schmunzeln mögen. Darüber, dass sie in ihren klassischen weißen Jacken aussahen wie Statisten aus Agatha-Christie-Filmen. Nur auf den ersten Blick allerdings: ihr perfekt gefaltetes weißes Tuch trugen sie über ausgefransten, verschlissenen Uniformen. So servierten sie erhobenen Hauptes auf einem Tablett einen Beutel Maxwell Instant-Kaffee. Wenn überhaupt. Und doch konnten Jürgen und seine Bandkollegen die Freundlichkeit der Menschen in fast jedem Moment spüren. Die Dankbarkeit dafür, dass sie gekommen waren, weil sie den Einheimischen das Gefühl gaben, dass sich überhaupt jemand für sie interessierte. Aber darauf musste man sich nun wirklich nichts einbilden. Und schon gar nicht versuchen, eigene Probleme mit denen der Menschen hier zu vergleichen.
Sie fuhren nach Beira, einer Hafenstadt, die regelmäßig von Südafrika bombardiert wurde. Wenn der Wiederaufbau ein Stück vorangekommen war, kamen die Bomben. Als die Kolonialmacht Portugal gegangen war, hatte sie ein Land in Auflösung hinterlassen. Ein augenfälliges Symbol war ein brachliegender Fuhrpark von Tausenden von Bussen. Wie verhungerte Tiere lagen sie in der prallen Sonne, ohne Ersatzteile würden sie weder Menschen noch Wirtschaftsgüter bewegen.
Sie sahen die Folgen des Bürgerkrieges. Sie besuchten ein Heim, in dem Kinder betreut wurden, die die
Renamo
zu Killern ausgebildet hatte. Diese Kindersoldaten hatten Dörfer überfallen, fünfjährige Jungs zum Teil. Oder Kinder wie der zehnjährige Junge, dessen ganze Familie in eine Hütte getrieben worden war. Als alle drin waren, hatte man ihn gezwungen, die Hütte anzuzünden. Sie trafen misshandelte und vollkommen verstörte Kinder, sie besuchten ein Flüchtlingslager, in dem die Leute unter primitivsten Umständen zusammengepfercht waren. Und sie mussten beschämt erfahren, wie diese Menschen sich versammelten, um sie zu begrüßen und mit ihnen ihre letzten Manjokwurzeln zu teilen. Es war einer dieser Momente, in denen Jürgen für Momente völlig mit sich selbst im Reinen
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