Julia Ärzte zum Verlieben Band 36
müssen, als sie sich wieder zurückzog.“
„Niemand kann Gedanken lesen, Joel.“
„Nein. Aber wenn eine Frau Wochenbettdepressionen hatte, hat sie Angst, dass es wieder passieren könnte.“ Er hob den Kopf, um sie anzusehen. „Vanessa war im sechsten Monat, als sie starb.“
Lisa erschrak.
„Sie war so verzweifelt und hatte solche Angst, dass das ganze Elend wieder von vorne anfangen würde, dass sie lieber gesprungen ist“, fuhr er fort.
„Ich weiß nicht, was ich sagen soll“, erwiderte sie aufrichtig. „Mein Mitleid brauchen Sie nicht.“ Sie hatte es auch gehasst, wenn die Leute mitleidig reagierten, sobald sie vom Tod ihres Vaters erfuhren. „Ich glaube jedoch, dass Sie sich zu Unrecht die Schuld daran geben. Es sei denn, Vanessa hätte Ihnen vorher zu verstehen gegeben, was sie vorhatte. Ansonsten hätten Sie es nicht wissen können.“
„Ich kannte sie besser als ihr Arzt und ihre Hebamme. Ich hätte sehen müssen, dass sie sich quälte“, beharrte er.
„Und wenn Sie sie ständig darauf angesprochen hätten, hätte sie sich dann nicht wie erstickt gefühlt? Als ob Sie ihr nicht vertrauen würden oder sie nur in Watte packen wollten?“, gab Lisa zu bedenken. „Wäre das für sie nicht noch viel schlimmer gewesen?“
Joel saß reglos da. „Mag sein.“
„Vielleicht war es ja wirklich ein Unfall“, meinte sie. „Wenn ich nicht gut drauf bin, gehe ich gern am Meer spazieren. Das hilft mir nachzudenken. Vielleicht war es bei Vanessa genauso. Nur dass sie lieber oben über die Klippen gelaufen ist anstatt unten am Strand. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass eine Frau ihren Ehemann, den sie liebt, und ein süßes kleines Mädchen wie Beth verlassen würde. Auch wenn sie Angst gehabt hat, hätte sie das bestimmt nie getan.“
Plötzlich fiel Lisa etwas ein: „War Beth denn bei ihr, als es passierte?“
„Nein, sie war in ihrer Spielgruppe. So habe ich es überhaupt erfahren. Sie haben mich bei der Arbeit angerufen und gesagt, dass Vanessa sie nicht abgeholt hat. Deshalb musste ich früher weg.“ Joel schluckte schwer. „Ich dachte, sie wäre vielleicht eingeschlafen und hätte die Zeit verpasst. Also habe ich Beth mit nach Hause genommen. Aber Vanessa war nicht da. Ihr Auto fehlte, und ich hatte keine Ahnung, wo sie war.“
„Sie hat keinen Zettel hinterlassen? Keine SMS oder E-Mail?“
„Nichts.“
„Dann muss es ein Unfall gewesen sein“, sagte Lisa leise. „Wenn man sich umbringt, hinterlässt man eine Nachricht, um es den Hinterbliebenen zu erklären.“
„Das hat der Gerichtsmediziner auch gesagt.“
Trotzdem machte Joel sich offenbar immer noch Vorwürfe. „Joel, Sie müssen sich selbst verzeihen. Sie sind nur ein Mensch, genau wie wir alle. Sie können nicht erraten, was jemand anderes vorhat. Und genauso wenig können Sie einen Unfall verhindern.“
Er schluckte angestrengt. „Wenn ich ihr ein besserer Ehemann gewesen wäre, wäre das nicht passiert.“
Lisa schob ihren Stuhl zurück, stellte sich hinter ihn und legte die Arme um seine Schultern. „Hören Sie, Joel Mortimer, ich habe im Krankenhaus gesehen, wie Sie Ihre Patienten behandeln. Sie sind ein hervorragender Arzt. Sie sprechen mit Ihren Patienten, hören Ihnen zu. Und Sie merken auch, was sie verschweigen. Genauso ist es beim Rettungsteam.“
„Das ist mein Job“, meinte er abwehrend.
„Nein, Sie tun es auch bei Beth. Sie sind ein wunderbarer Vater, schenken ihr Zeit und Liebe. Trotzdem sind Sie nicht perfekt. Niemand kann perfekt sein. Sie machen Ihre Sache als Vater so gut, wie Sie können. Und ich nehme an, dass Sie als Ehemann genauso waren. Sie haben Vanessa geliebt, oder?“
„Ja.“
„Sie waren also nicht perfekt“, fuhr Lisa fort. „Aber Sie waren der beste Ehemann, der Sie sein konnten. Und das war für Vanessa sicher genug, weil sie wusste, dass Sie ihr alles gegeben haben, was Sie hatten. Im Nachhinein lässt sich immer leicht sagen, was man hätte anders machen sollen. Ich bin überzeugt, an Ihrer Stelle hätte es niemand besser machen können.“
„Wirklich nicht?“, fragte Joel gepresst. „Ich fühle mich so verdammt schuldig. Als hätte ich sie eigenhändig die Klippe hinuntergestoßen.“
„Es war ein Unfall, und Unfälle passieren nun mal. Sie können doch nicht den Rest Ihres Lebens damit verbringen, in Schuldgefühlen zu versinken für etwas, woran Sie keine Schuld haben und was Sie nicht hätten verhindern können.“ Lisa drückte ihn tröstend und gab
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