Julia Ärzte zum Verlieben Band 49
nicht mitbekommen, wie er von einer Welle vom Brett gerissen wurde. Als ich ihn fand, war er bewusstlos. Ich brachte ihn ins Krankenhaus, doch er überlebte nur noch eine Woche. Ich war dabei, als man die Geräte abgeschaltet hat.“
Seine tiefe Traurigkeit schnürte ihr die Luft ab. „Ach, Lewis …“
„Am selben Tag habe ich auch meinen Vater verloren.“ Bitter lachte er auf, und der düstere Laut fuhr ihr direkt ins Herz. „Er machte mich für Liams Tod verantwortlich. Das sagte er mir zwar nicht ins Gesicht, aber die Botschaft kam an. Ich hätte auf ihn aufpassen müssen. Ich war der Ältere und der erfahrene Surfer.“
„Er durfte dir nicht die Schuld daran geben, Lewis. Es war ein Unfall. Wenn nun dein Bruder an jenem Tag allein surfen gegangen wäre? Oder mit jemand anderem? Hättest du demjenigen dann die Schuld an Liams Tod gegeben?“
„Ich weiß es nicht“, erwiderte er nachdenklich. „Vielleicht, vielleicht auch nicht. Ein Jahr danach wollte ich bloß noch weg und bewarb mich um ein Stipendium für ein Medizinstudium in England. Die Zeit mit meinem Vater und Abbys Mutter nach Liams Tod war schlimm, obwohl Anna sich große Mühe gegeben hat. Inzwischen war mir jedoch klar geworden, dass ich dort störte. Ich ertrug es nicht länger. Meinen Vater ertrug ich nicht länger.“
„Wann hast du zuletzt mit ihm gesprochen?“
„Vor achtzehn Jahren.“
Erstaunt musterte sie ihn. „Das ist ja dein halbes Leben!“
„Ja“, antwortete er knapp.
„Deshalb bist du zurückgekommen, nicht wahr? Du wolltest auch unter diese Geschichte einen Schlussstrich ziehen.“
„Du täuschst dich, wenn du glaubst, dass ich die Sache mit meinem Vater in Ordnung bringen will. Es war ein Unfall, du hast recht. Jedes Jahr sterben Hunderte von Menschen beim Surfen. Es war nicht meine Schuld.“
„Aber du gibst sie dir trotzdem“, sagte Mikki. „Du hast sie dir immer gegeben. Deswegen wolltest du dir keine Gefühle für andere mehr zugestehen.“
„Glaub, was du willst, Mikki“, erwiderte er gepresst. „Ich bin zurückgekommen, um mir selbst zu beweisen, dass ich wieder hier leben kann. Ich hatte keine Lust mehr, mich auf der anderen Seite der Welt zu verstecken. Und ich wollte nicht mehr so tun, als hätte ich ein tolles Leben – denn das stimmte ja nicht. Ich wollte wieder nach vorn sehen können. Ich bin es leid, nur ein halbes Leben zu leben.“
„Und wie passe ich ins Bild?“
„Das weiß ich nicht.“ Seufzend ließ er die Schultern sinken. „Ich dachte, dass du dein Leben hättest und ich meins. Dass wir zusammen arbeiten würden, mehr nicht. Aber es ist völlig anders gekommen. Ich habe keine Ahnung, wie ich damit umgehen soll.“
Mikki berührte seinen Arm. „Hättest du mir doch bloß von deiner Familie erzählt … Besonders das mit deinem Bruder.“
„Wozu?“ Mit ausdruckslosen Augen sah er sie an. „Damit du mich bedauern kannst? Ich hasse Mitleid, Mikki. Ich kann vieles ertragen, aber das nicht.“
Sie biss sich auf die Lippe. „Es hätte mir geholfen, dich besser zu verstehen. Wenn ich ein wenig reifer und nicht so unsicher gewesen wäre, hätte ich es vielleicht sogar selbst erkannt. Es tut mir leid, Lewis. Es tut mir leid, dass ich nicht lange genug geblieben bin, um dich besser kennenzulernen.“
Er legte seine Finger auf ihre. „Es war nicht deine Schuld, Mikki.“ Diesmal lag etwas Wärme in seiner Stimme. „Du bist einfach dem falschen Mann begegnet.“
Sie schaute ihn an und fragte sich, ob das stimmte. Nein, er war nicht der Falsche. Im Gegenteil: Sie konnte sich überhaupt nicht vorstellen, mit einem anderen zusammen zu sein. „Vielleicht war es nur der falsche Zeitpunkt“, sagte sie langsam.
„Vielleicht.“ Er ließ die Hand sinken. „Du solltest besser schlafen gehen.“
Mikki zögerte. „Lewis?“
Er trat zwei Schritte zurück. „Wir müssen beide morgen arbeiten. Und ich habe eine lange Liste mit schwierigen Fällen.“
„Bitte, stoß mich nicht weg“, bat sie ihn.
Lewis packte sie an den Armen. „Warum bist du so versessen darauf, dir ein weiteres Mal die Finger zu verbrennen? Ich bin nicht gut für dich, Mikki. Das müsstest du eigentlich wissen.“
„Es gehören immer zwei dazu, wenn etwas schiefgeht.“ Mikki drängte die aufsteigenden Tränen zurück. „Du bist nicht allein schuld an dem, was damals passiert ist. Und ich liebe dich, Lewis. Ich glaube, ich habe nie aufgehört, dich zu lieben. Das ist mir heute Nacht klar
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