Julia Ärzte zum Verlieben Band 49
geworden.“
Schweigen breitete sich aus, ein endloses, drückendes Schweigen.
Dann bemerkte sie, dass seine Miene wieder unergründlich wurde. Es lief ihr eiskalt den Rücken hinunter.
„Du verwechselst Sex mit Liebe, Mikki“, erklärte er kühl. „Wie alle Frauen. Fast jede, mit der ich geschlafen habe, hat mir hinterher ihre Liebe gestanden. Es bedeutet nichts. Frauen rechtfertigen damit nur, dass sie einem Mann ihren Körper überlassen haben.“
Mikki war dankbar für die Wut, die in ihr aufstieg. Wenn es nicht so gewesen wäre, hätte sie sich aus Eifersucht und Schmerz sicherlich zum Narren gemacht. „Wie viele waren es denn?“, fragte sie beherrscht.
„Du hast kein Recht, danach zu fragen“, gab er kalt zurück. „Das hast du an dem Tag verloren, als du einfach gegangen bist.“
„Du hättest mich bitten können, zurückzukommen.“
„Betteln, meinst du?“ Ein zynischer Ausdruck huschte über sein Gesicht. „So gut solltest du mich kennen, Mikki: Ich bettele nicht, niemals. Das war vor sieben Jahren so, und daran hat sich bis heute nichts geändert.“
Mikki sah ihm nach, als er das Zimmer verließ. Sie blieb allein mit ihrem Bedauern und den Selbstvorwürfen zurück, die wie blasse Gespenster anklagend mit dem Finger auf sie zeigten.
9. KAPITEL
Morgens um drei wachte Mikki von Geräuschen auf. Lewis schien sich zwar alle Mühe zu geben, leise zu sein. Doch sie besaß einen sechsten Sinn, was ihn betraf.
Unwillkürlich musste sie an früher denken. Oft hatte sie ihn mitten in der Nacht mit einem Buch in der Hand oder vor dem Fernseher sitzend im Wohnzimmer gefunden. Bilder waren über die Mattscheibe geflimmert, aber den Ton hatte er abgeschaltet. Manchmal hatte er einfach dagesessen und Löcher in die Luft gestarrt. Auf ihre Fragen hin hatte er ihr erklärt, dass seine schwierigen Fälle ihn nicht schlafen lassen würden. Sie hatte ihm geglaubt. Warum auch nicht? Die Neurochirurgie war ein Fach, das besondere Anforderungen stellte.
Hatte er es gewählt, weil sein Bruder an seinen schweren Kopfverletzungen gestorben war? Wollte er etwas wiedergutmachen, indem er Leben rettete, die am seidenen Faden hingen? Dazu passte, dass er zu den Besten auf seinem Gebiet gehören wollte. Er war mutig, wenn es um riskante Operationen ging. Und diese Furchtlosigkeit verbarg, dass er nur auf eine einzige Art mit seiner Vergangenheit fertigwurde: indem er sie ausblendete.
Mikki zog sich ihren Morgenmantel über und ging barfuß ins Wohnzimmer. Lewis stand am Fenster und hatte den Blick auf den mondbeschienenen Ozean gerichtet. Als sie hereinkam, drehte er sich um.
„Entschuldige, habe ich dich geweckt?“, fragte er.
„Nein“, schwindelte sie. „Ich habe einen leichten Schlaf.“
Er fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. So zerzaust, wie es war, tat er es anscheinend nicht das erste Mal in dieser Nacht. „Geh wieder ins Bett“, sagte er. „Du siehst müde aus.“
„Du siehst auch nicht besser aus.“
Lewis verzog das Gesicht. „Wer sieht um drei Uhr morgens schon gut aus?“
Mikki kam näher. „Möchtest du eine Tasse warme Milch oder einen Kakao?“
Ein seltsamer Ausdruck huschte über seine markanten Züge. Es war die Andeutung eines wehmütigen Lächelns. „Wenn Liam und ich nicht schlafen konnten, hat unsere Mutter uns immer einen warmen Kakao gebracht. Ich muss jedes Mal daran denken, wenn ich Kakao trinke.“
„Damals hast du mir erzählt, dass du dich kaum an sie erinnerst. Weil du zu jung warst, als sie gestorben ist.“
„Ich war vier, Liam erst zwei. Ich erinnere mich an mehr, als mir lieb ist. Liam wusste nicht einmal mehr, wie sie ausgesehen hat. Aber ich sehe ihr Lächeln vor mir. Ich weiß noch, wie sie mich an sich gedrückt hat. Es kommt mir vor, als hätte sie geahnt, dass uns nicht viel Zeit miteinander vergönnt war. Auch an ihren Duft erinnere ich mich. Sie duftete wie eine Frühlingswiese …“
„Du sagtest, dass sie bei einem Unfall gestorben ist“, meinte Mikki nach kurzem Schweigen.
Für einen Moment kreuzten sich ihre Blicke. „Nein, es war kein Unfall. Sie starb an den Folgen einer Abtreibung, zu der mein Vater sie gedrängt hatte.“
„Aber …“ Entsetzt starrte sie ihn an. „Warum wollte dein Vater, dass sie abtreibt?“
„Weil er geglaubt hat, dass das Kind nicht von ihm war.“
Sie musste schlucken. „Aber es war von ihm, oder?“
„Das weiß ich nicht, und es ist mir auch egal. Er hätte sie niemals dazu zwingen dürfen.“
Auf
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