Julia Ärzte zum Verlieben Band 50
sodass er nach vorn schauen konnte. Auf die Gischt der Wellen, die sich an den schroffen schwarzen Felsen brachen. Dahinter sah er einen kleinen Steinstrand. Wäre festes Land besser als der eisige Ozean mit seiner starken Strömung?
Zwar blieb ihm in dieser Hinsicht keine große Wahl, doch die unmittelbare sachliche Einschätzung ihrer Möglichkeiten füllte die letzten paar Sekunden, ehe Geschwindigkeit, Schwerkraft und das Versagen der Motoren den Aufprall verursachten. Es war ein harter Schlag.
Jet wusste nicht, ob er vorübergehend bewusstlos gewesen war.
Ihm brummte der Schädel von einem dröhnenden Geräusch und grellen Lichtblitzen. Vielleicht war es kurz nach dem Absturz, und er hatte noch ein kleines Zeitfenster, um zu entkommen.
Zu überleben.
Irgendwas war jedoch stärker als dieser reine Selbsterhaltungstrieb. Er war nicht alleine gewesen.
„Becca … Becca… “
Jet konnte nichts sehen. Er war außerstande, die Augen zu öffnen. Ein Gegenstand stach ihm schmerzhaft ins Gesicht. Es dauerte einen Moment, bis er merkte, dass die Schmerzen von zerbrochenen Teilstücken seines Helmvisiers herrührten. Jet riss sie los und nahm den Helm ab. Dabei berührte er etwas Warmes, Klebriges, ignorierte die Blutung jedoch.
Jetzt konnte er sogar erstaunlich gut sehen. Rotes Licht, wie von feuriger Morgenröte, umgab sie. Die Plexiglaskuppel des Helikopters war geborsten, und direkt vor ihnen erblickte er durch ein großes Loch ein entsetzlich verbogenes Rotorblatt. Plötzlich spritzte Meerwasser durch das Loch herein, wodurch Jet völlig durchnässt wurde. Das kalte Wasser vertrieb seine Benommenheit. Lagen sie etwa im Meer? Nein, unter ihnen spürte er festen Untergrund, und das verbeulte Gehäuse des Hubschraubers schwankte. Es rieb sich knirschend an etwas Hartem.
Die Felsen. Sie steckten auf den Felsen fest, wahrscheinlich nicht weit vom Festland entfernt. Jeden Moment konnte nun eine große Welle kommen, das Wrack in die Höhe heben und sie dem Meer ausliefern. Das war gar nicht gut. Jet löste sein Gurtgeschirr und konzentrierte sich auf die leblose Gestalt seiner Pilotin.
„Becca! Kannst du mich hören?“
Das Stöhnen, das er als Antwort erhielt, war der schönste Laut, den Jet jemals gehört hatte. Sie lebte.
Er streifte die Handschuhe ab und quetschte sich zwischen den Rest der Plexiglaskuppel und das zerstörte Instrumentenbrett. Aus den Augenwinkeln nahm er zwei schwache Blinklichter wahr. Hoffentlich war das eine davon das Notsignal. Das andere war am Funkgerät angebracht, und für den unwahrscheinlichen Fall, dass es noch funktionierte, zog Jet an dem Spiralkabel des Mikrofons, um es aus dem Instrumentenbrett zu befreien.
„Mayday, Mayday“, rief er. „Flug null drei drei abgestürzt.“
Selbst wenn sie die Nachricht empfingen, würden sie sicherlich keinen weiteren Helikopter schicken. In eine Vulkan-Aschewolke zu fliegen, war unmöglich. Die einzige Hilfe, auf die sie hoffen konnten, war das Schiff, das nach Tokolamu umgeleitet wurde. Das sollte in sechsunddreißig Stunden ankommen. Anderthalb Tage.
Bis dahin waren sie auf sich allein gestellt. Gemeinsam mit den anderen Überlebenden auf der Insel.
Jet drückte erneut den Sprechknopf am Mikrofon. „Wir verlassen den Hubschrauber“, erklärte er deutlich. Falls jemand diese Nachricht erhielt, würde später zumindest keine unnötige Zeit damit verschwendet, die Absturzstelle nach ihnen zu durchsuchen. „Wir versuchen, die Naturschutzstation zu erreichen.“
Ein leises Knacken kam aus dem Funkgerät. Dann spritzte wieder ein Schwall Meerwasser durch die Windschutzscheibe herein, woraufhin die Elektronik mit einem hörbaren Zischen ihren Geist aufgab. Jet hatte nicht mehr als eine halbe Minute auf den vermutlich fruchtlosen Versuch verwendet, Kontakt mit der Außenwelt aufzunehmen. Trotzdem erschien es ihm zu lang.
Becca brauchte ihn.
Er ließ das Mikrofon fallen und bemühte sich, sie mit den Augen und seinen Händen zu untersuchen. Zwar waren dies nicht die schlimmsten Bedingungen, unter denen er je gearbeitet hatte, aber es war nahe dran. Er spürte die Wellenbewegungen rund um das Wrack. Ins Meer hinausgezogen zu werden, um sich dann wieder an den Felsen zerschmettern zu lassen, war fast genauso gefährlich, wie unter feindlichem Beschuss zu stehen.
Luftwege. Atmung. Durchblutung.
Becca stöhnte lauter und murmelte irgendetwas Unverständliches. Ihr Versuch, etwas zu sagen, sprach jedenfalls dafür, dass ihre Atemwege
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