Julia Ärzte zum Verlieben Band 54
sich jedenfalls vorher nie um uns gekümmert!“, brauste Caroline auf. „Papa hat ihn immer gebeten, uns zu besuchen, aber er hatte immer zu viel zu tun. Irgendwann sind meine Eltern dann zu ihm geflogen. Und jetzt sind sie tot. Wenn sie nicht zu ihm geflogen wären, sondern er uns besucht hätte, dann wären sie noch am Leben. Er ist so verdammt egoistisch!“
Julie erschrak ob der Heftigkeit dieser Worte. Aber sie erinnerte sich, wie wütend sie nach ihrem eigenen Unfall gewesen war. Sie hatte das Gefühl gehabt, als sei ihr alles geraubt worden, was ihr jemals wichtig gewesen war. Ihre Wut hatte sich gegen alles und jeden gerichtet, auch gegen die Eltern.
Als dann wenige Jahre später ihre Eltern starben, hatte sie geglaubt, nie wieder fröhlich sein zu können. Die ganze Welt war schuld. Es war alles so ungerecht gewesen.
„Wie alt bist du?“
„Siebzehn. In ein paar Monaten werde ich achtzehn.“
Julie war überrascht. So wie Caroline zurechtgemacht war, konnte sie durchaus für zwanzig oder noch älter durchgehen.
„Und du warst alleine im Nachtclub?“
„Pierre wollte nicht, dass ich alleine gehe. Er hat einfach keine Ahnung …“ Sie verstummte und sah aus dem Fenster. „Meine Freunde wären schon mitgekommen, aber ihr Mitleid geht mir langsam auf die Nerven. Immer fragen sie, wie es mir geht, ob alles in Ordnung ist. Die kapieren es echt nicht – ich will es einfach nur vergessen. Wenigstens mal kurz. Das kann doch nicht so schlimm sein, oder?“
„Nein“, sagte Julie leise. „Das ist überhaupt nicht schlimm. Manchmal müssen wir die Dinge, die wehtun, wirklich einfach vergessen.“
„Ich bin los, als er gerade beschäftigt war“, gab Caroline zu. „Ich habe ihm aber einen Zettel hingelegt, wo ich bin, und dass er sich keine Sorgen machen soll. Aber er ist trotzdem gekommen. Ganz schön peinlich, wie ein Kleinkind behandelt zu werden.“
Julie musste ihr Lächeln verstecken. Die Spannung zwischen den beiden konnte sie sich gut vorstellen. Das junge Mädchen erinnerte sie in mancher Hinsicht an ihre eigene Vergangenheit.
„Aber er hatte auch recht, oder? Schau dir an, was heute Nacht passiert ist. Er könnte es sich nie verzeihen, wenn dir etwas zugestoßen wäre.“ Julie lief ein Schauer über den Rücken. „Ich hatte furchtbare Angst. Du nicht?“
„Wenn einem schon das Schlimmste auf der Welt passiert ist, hat man nicht mehr so viel Angst“, gab Caroline zurück. Sie wischte sich über die Augen. „Tut mir leid. Ich rede sonst nicht einfach so daher. Vielleicht war das doch ein bisschen heftig. Aber jetzt ist alles okay. Ein Taxi hätte es auch getan.“
Julie wusste, dass weiteres Diskutieren zwecklos war. Hier ging es eigentlich um ganz andere Probleme. Die beiden saßen in ihre Gedanken versunken im Auto.
Dann schaute Caroline die junge Ärztin neugierig an. „Was ist denn mit deinem Gesicht passiert?“, fragte sie.
Wie immer, wenn jemand sie auf die Narbe ansprach, fuhr sie unwillkürlich mit der Hand zu ihrer Wange. Es kam selten vor, dass sie sich unter Kontrolle hatte.
„Ein Skiunfall“, sagte sie betont locker, „als ich etwa so alt war wie du.“
„Du kannst doch Onkel Pierre fragen, ob er es wieder hinkriegt“, schlug das Mädchen vor. Es war deutlich zu hören, wie sich ein leichter Stolz in Carolines Stimme geschlichen hatte.
Mich wieder hinkriegen? dachte Julie. Sie glaubte nicht, dass irgendjemand sie hinkriegen würde.
„Er ist in Frankreich ein berühmter Chirurg, weißt du!“, fügte der Teenager hinzu.
„Das habe ich schon gehört“, sagte Julie trocken. „Ich habe mich aber an mein Gesicht, so wie es jetzt aussieht, schon gewöhnt.
Die Worte blieben ihr fast im Halse stecken. Das war eine glatte Lüge. Sie hasste die Narbe.
Sie hielten an der Adresse, die Caroline ihr gegeben hatte. Das Haus war eine stattliche Villa. Durch den Vorgarten schlängelte sich eine Auffahrt, auf der mehrere große Wagen Platz gefunden hätten.
Caroline zeigte ihr, wie man das Tor mit der Fernbedienung öffnen konnte. Langsam glitt der Sportwagen durch die Nacht und hielt vor der Haustür.
Caroline kletterte aus dem Beifahrersitz. „Vielen Dank fürs Nachhausebringen“, sagte sie höflich.
„Kann ich dich denn jetzt alleine lassen?“, fragte Julie unsicher. Sollte sie mit dem Mädchen zusammen hineingehen? Warten, bis Pierre wiederkam?
Caroline nickte energisch. „Es ist schon gut. Echt. Du hast getan, was du versprochen hast. Ich komme schon
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