Julia Aerzte zum Verlieben Band 60
die Stirn, während im Hintergrund der Absauger zu hören war. „Gib ihm einen Moment.“
Noch immer nichts. Nicht einmal ein schwacher Protestlaut, weil man ihm einen Plastikschlauch in die Nase schob. Finn und Evie hörten Satzfetzen wie: „… bradykard … Sauerstoffsättigung zu niedrig … Reanimation … i. v.-Zugang … wir müssen intubieren …“
Evie barg das Gesicht an Finns Schulter und weinte fast lautlos, während sich um sie herum ein Szenario abspielte, das sie oft genug erlebt hatte – als Notärztin.
„Er schafft es“, versicherte Finn. „Er schafft es, Evie.“
Dann hörte er: „Bin drin“, und blickte auf, weil die Töne des Überwachungsgeräts sich veränderten.
„Sauerstoffsättigung nimmt zu“, vermeldete eine Schwester. „Herzfrequenz steigt.“
„Sie haben ihn intubiert“, sagte er zu Evie. „Es geht ihm besser.“
Sie hob den Kopf. Die Monitortöne waren wie Musik in ihren Ohren. „Wie geht es ihm?“
Der Kollege am Inkubator drehte sich zu ihr um. „Er brauchte ein bisschen Hilfe beim Atmen – nicht ungewöhnlich bei achtundzwanzig Wochen. Ich bin zuversichtlich, dass er es mit CPAP-Beatmung schafft. Wir werden einen Nabelkatheter legen und Steroide zuführen und bringen ihn gleich nach oben auf die Intensiv, da ist er am besten aufgehoben.“
„Natürlich. Das ist gut“, drängte sie. Sie wollte die bestmögliche Versorgung für ihn und war doch hin- und hergerissen. Sie hatte ihren Jungen zur Welt gebracht, aber ihn nicht einmal berührt oder sein Gesicht gesehen.
Wie sehr sehnte sie sich danach, ihn in den Armen zu halten. Ganz nah bei ihm zu sein. Evie wandte sich an Finn. „Geh mit ihnen.“
„Was? Nein, Evie, er ist in guten Händen. Ich bleibe bei dir, bis du in deinem Zimmer liegst, und dann sehe ich nach ihm.“
Hastig wischte sie sich über die tränenfeuchten Wangen. „Finn, ich will nicht, dass er da oben allein ist.“
„Ist er doch nicht“, widersprach er sanft. „Da sind tausend Leute, die sich um ihn kümmern.“
„Es ist unser Sohn, und er soll spüren, dass wir bei ihm sind, die ganze Zeit. Geh mit, bitte, Finn. Wenn du es nicht tust, begleite ich ihn, egal, ob die Nachgeburt draußen ist oder nicht. Das schwöre ich dir!“
Finn sah zu Marco hinüber, der ihm mit einer knappen Kopfbewegung signalisierte, mitzugehen. Er zögerte. Er wollte bei seinem Sohn sein, aber auch Evie nicht allein lassen.
Sie umklammerte seinen Arm. „Mir geht es gut“, sagte sie eindringlich. „Ich weiß, vorhin bin ich fast durchgedreht, und es tut mir leid. Doch jetzt bin ich okay. Versprich mir, dass du bei ihm bleibst, bis ich zu ihm kann, ja?“
Ein übernatürlicher Glanz schimmerte in ihren braunen Augen, und Finn begriff, dass sie zu allem entschlossen war. „Gut, versprochen. Aber komm bald.“
Evie lachte auf. „Worauf du dich verlassen kannst. Los, geh schon“, drängte sie, als das Team das Bettchen aus dem Raum rollte.
Finn blieb bei Marco stehen, der sich gerade um die Nachgeburt kümmerte. „Mein Handy habe ich dabei. Ruf mich an, sobald du hier fertig bist.“
Marco nickte. „Assolutamente.“
Fünf Stunden später betrat Ava das Einzelzimmer, in dem das Lockheart-Baby untergebracht war. Manchmal hatte es seine Vorteile, wenn Mummy und Daddy im Sydney Harbour arbeiteten …
Sie lächelte der Schwester zu, die Notizen in einen Computer eingab, und entdeckte Finn in einem Sessel neben dem Plexiglas-Bettchen. Der arme Mann hatte sichtlich Mühe, die Augen offen zu halten. Der Kopf sank ihm auf die Brust, fuhr wieder hoch, und der Kampf begann von Neuem.
„Finn?“ Ava beugte sich zu ihm herab.
Er sah aus, als hätte man ihn rücklings durch eine Hecke geschleift. Auf seiner Jeans waren Flecken, und das Hemd war zerknittert, als hätte es eine Woche lang zusammengeknüllt in einer Ecke gelegen. Die dunklen Bartstoppeln schrien förmlich nach einer Rasur, Finns Füße waren nackt.
Erst jetzt schien er sie zu bemerken. Schläfrig schüttelte er den Kopf, fokussierte die Gestalt vor ihm. „Hallo, Ava.“
Sie drückte ihm den mitgebrachten Kaffee in die Hand. „Du hast ein Talent, wie der letzte Penner auszusehen.“
Er grinste matt. „Nur für dich, Ava.“
Ava warf einen Blick ins Bettchen und sah mehr Schläuche als Baby. „Ihr habt eine aufregende Nacht hinter euch, habe ich gehört.“
Finn nickte, stand auf und sah auf seinen Sohn hinunter, dessen Zustand sich in wenigen Stunden erstaunlich verbessert hatte. Er
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