Julia Aerzte zum Verlieben Band 60
wollte nur noch schlafen. Am besten eine Woche lang.
Über Finn würde sie sich morgen Gedanken machen.
Wenige Stunden später erwachte Evie jäh aus dem Tiefschlaf. Ein Gewicht drückte auf ihre Brust, ihr Herz raste. Irgendetwas stimmte nicht, sie wusste nur nicht, was.
Als sie im Dunkeln dalag und auf die Leuchtziffern ihres Digitalweckers blickte – es war zwei Uhr dreizehn –, da spürte sie Feuchtigkeit unter sich. Sie griff nach unten, das Laken war nass.
Noch während sie versuchte zu begreifen, was passiert war, schnitt ein starker Krampf ihr wie ein Messer durch den Bauch. Unwillkürlich schrie sie auf und legte beide Hände schützend auf ihren Leib.
Blutete sie?
Der Schmerz ließ nach, und von Panik erfüllt richtete Evie sich auf, schlug die Decke zurück und machte das Licht an. Ein großer feuchter Fleck durchnässte Laken und Matratze, ihre Schlafanzughose klebte ihr an den Schenkeln.
Ihr Puls hämmerte wie wild gegen die Schläfen, während sie einen vernünftigen Gedanken zu fassen versuchte.
Klar. Kein Blut. Aber viel.
Zu viel für Urin. Sie hatte schon seit einer Ewigkeit das Gefühl, dass ihre Blase nicht mehr als einen Fingerhut voll fasste …
Evie schnappte nach Luft, als wieder ein krampfartiger Schmerz sie packte. Im selben Moment wurde ihr klar, dass es Fruchtwasser war.
Ihre Fruchtblase war geplatzt. Die Geburt hatte eingesetzt.
Die Wehe schien unendlich zu sein, und Evie versagte kläglich darin, all das zu tun, was sie für diesen Moment gelernt hatte: ruhig bleiben, tief und gleichmäßig atmen. Stattdessen nahm die Angst ihr fast den Atem, und die Tränen liefen ihr über die Wangen.
Mit zitternden Händen griff sie nach dem Telefon und tippte Finns Nummer ein. Der Ruf ging raus, und sie hoffte inständig, dass er – wie alle Ärzte, die ihr halbes Leben in Rufbereitschaft verbrachten – die besondere Fähigkeit besaß, beim Klingeln des Telefons innerhalb von Sekunden hellwach zu sein.
Beim dritten Mal nahm er ab, und sie hielt sich nicht lange mit einer Begrüßung auf.
„Finn!“, schluchzte sie. „Die Fruchtblase ist geplatzt. Ich habe Wehen.“ Wie zur Bestätigung kam die nächste, Evie keuchte auf und krümmte sich zusammen. Sprechen war kaum noch möglich. „Das Baby … kommt …“
„Bin sofort da.“
Sie hörte ihn kaum. Das Telefon entglitt ihren kraftlosen Fingern. Evie rollte sich zusammen wie ein verängstigtes Kind, weinte, während sie das Gefühl hatte, dass der Schmerz sie gleich in Stücke reißen würde.
Es war zu früh. Das Baby war noch zu klein. Ich schaffe das nicht, mein Baby schafft das nicht …
Finn hämmerte gegen die Wohnungstür, und Evie rief nach ihm. Doch die Wehen kamen kurz hintereinander, sodass sie wie gelähmt war und nicht aufstehen konnte, um ihm zu öffnen.
Ein lautes Krachen ertönte, und dann stürmte Finn in ihr Schlafzimmer.
Der Anblick, der ihn erwartete, erschütterte ihn zutiefst. Evie – immer stark, immer Herrin der Lage – lag zusammengekrümmt auf dem Bett, ihre Hose war durchnässt, ihr Gesicht verquollen, die Augen rot vom Weinen.
Er kniete sich neben das Bett. „Evie!“
„Finn …“ Sie klammerte sich an seinen Arm. „Hilf mir … es ist zu früh. Bitte lass unser Baby nicht sterben!“
Wie eine kalte Faust griffen ihre Worte nach seinem Herzen. So ähnlich hatte er sie schon einmal gehört, als Isaac seine blutüberströmte Hand nach ihm ausgestreckt hatte.
Finn! Finn! Hilf mir. Lass mich nicht sterben.
Seit zehn Jahren verfolgten ihn diese Worte und das Versprechen, das er gegeben hatte und nicht halten konnte – gefangen in einem Hölleninferno, selbst schwer verwundet, unerreichbar für schnelle medizinische Hilfe.
Aber jetzt war er nicht so machtlos wie damals. Diesmal nicht.
„Ich werde alles tun“, versprach er. „Er wird es schaffen.“ Nicht noch einmal würde er jemanden im Stich lassen, der ihm wichtig war.
Finn stand auf, nahm die leichte Sommerdecke, die vom Fußende des Betts gerutscht war, und wickelte Evie darin ein, bevor er sie auf die Arme hob. Sie weinte vor Schmerzen.
Er hielt sich nicht damit auf, einen Krankenwagen zu rufen. Um diese Zeit war er mit seinem Wagen in drei Minuten im Sydney Harbour.
Mit Evie auf den Armen verließ er die Wohnung, zog die Tür, die er eingetreten hatte, hinter sich zu. Um das beschädigte Schloss konnte er sich nachher kümmern. Der Aufzug kam innerhalb von Sekunden, eine Minute später saßen sie in seinem Wagen, und
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