Julia Aerzte zum Verlieben Band 60
zwar ein Foto, aber das war etwas anderes. Einen solchen Moment sollten Eltern miteinander teilen …
Sie hätte weinen können, aber sie drängte die Tränen zurück. Bisher war sie stark gewesen, und sie würde es auch weiterhin sein. Vor allem jetzt wollte sie nicht grübeln. Nicht, wenn sie das Wunder genießen konnte, ihren kleinen Sohn im Arm zu halten. Ein unbeschreibliches Glück, das ihr Herz mit unendlicher Zärtlichkeit erfüllte.
Am fünften Tag wachte Evie in aller Frühe auf und konnte nicht wieder einschlafen.
Ob Finn etwas dagegen hatte, seine Zeit ein bisschen abzukürzen – oder sie mit ihr zusammen zu verbringen? Hier lag sie ja doch nur herum und dachte an Isaac. Außerdem waren ihre Brüste voll.
Vielleicht sollte sie ins Krankenhaus fahren und Milch abpumpen.
Eine halbe Stunde später betrat sie die Station. Als Erstes fiel ihr die Gruppe Schwestern auf, die dort hinten zusammenstanden. Sie bemerkten Evie und winkten sie lächelnd näher. Neugierig, was sie ihr wohl zeigen wollten, ging sie zu ihnen.
Ihr Lächeln verblasste, als sie sah, dass sie Finn beobachteten, der mit Isaac an der Brust durch die Scheibe des Isolationszimmers zu sehen war.
Es war ein berührender Anblick, der ihr den Atem nahm. Wie gebannt betrachtete sie Vater und Sohn.
Meine beiden Lieblinge.
„Der große Finn Kennedy“, flüsterte eine der Schwestern.
„Wer hätte das gedacht?“, antwortete eine andere.
Nicht einmal Finn selbst. Evie ließ die Schwestern allein. Sie blieb am Türrahmen stehen, ohne sich bemerkbar zu machen, wollte das bewegende Bild noch einen Moment genießen.
Finn saß in einem Sessel neben dem Bettchen. Zwischen den Falten der Decke konnte sie seine nackte Schulter sehen, also lag Isaac an Daddys warme Haut gekuschelt.
Evie schluckte, wollte schon eintreten, da hörte sie, dass Finn leise mit seinem Sohn redete. Sie blieb, wo sie war, um ihn nicht zu stören.
„Jetzt hast du’s begriffen, was, mein Kleiner?“, sagte Finn zärtlich. „Ich bin nun mal nicht deine Mummy, da kannst du suchen, solange du willst. Sie kommt nachher. Mit mir wird sie nicht reden, weil sie böse auf mich ist, und außerdem hat sie nur Augen für dich.“
Unbewusst spitzte Evie die Ohren und beugte sich ein Stückchen vor.
„Mein Fehler, kleiner Mann. Ich habe richtig Mist gebaut. Lass dir eins von mir sagen: Frauen mögen schwierig sein, aber letztendlich wollen sie nur, dass man sie liebt. So etwas konnte ich noch nie gut. Auch deinem Onkel Isaac habe ich erst gesagt, dass ich ihn liebe, als er in meinen Armen gestorben ist. Du erinnerst mich an ihn, und ich verspreche dir, dass ich es dir jeden Tag sagen werde. Und deiner Mum auch, falls sie mir noch eine Chance gibt. Glaub mir, Junge, wenn du ‚Ich liebe dich‘ sagst, darf es nie nebensächlich klingen.“
Evie hielt den Atem an.
„Und jetzt denkt sie, dass ich sie nur liebe, weil sie deine Mutter ist. Aber das stimmt nicht. Sie ist die klügste, tollste und schönste Frau, die ich je kennengelernt habe. Und ich bin verrückt nach ihr, doch sie will erst wieder mit mir reden, wenn du nach Hause kommst. Also beeil dich, ja?“
Sie blinzelte die Tränen weg, während sie lauschte.
„Weißt du, ich will keinen Tag länger ohne sie leben. Für dich gilt das Gleiche, Kleiner, und ich liebe dich auch. Aber mit deiner Mutter, das ist etwas anderes. Ich möchte sie halten, sie küssen und all das tun, was Verliebte tun. Das wirst du wahrscheinlich nie verstehen, weil sie deine Mum ist, aber, glaub mir, sie ist verdammt sexy.“
Evie wurde rot.
„Und natürlich liebe ich sie, weil sie deine Mutter ist und dir gibt, was ich dir nicht geben kann. Aber ich liebe sie auch, weil sie mir etwas gibt, was du mir nicht geben kannst – eine andere Art von Liebe. Ich hätte nie gedacht, dass ich das einmal sagen würde, doch ich brauche sie. Und ich möchte ihr die Liebe schenken, die du ihr nicht schenken kannst. Für immer.“
Evie konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. Sie stieß die Tür auf und war in fünf Sekunden an seiner Seite und küsste ihn. „Warum hast du mir das nicht gesagt, als wir bei Pete waren?“, fragte sie mit schimmernden Augen und tränennassen Wangen.
Finn sah ihr ins Gesicht, das ihm noch nie so schön erschienen war, trotz der Tränenspuren. „Weil ich emotional verbogen und ein Riesendummkopf bin.“
Lachend gab sie ihm noch einen Kuss. „Hast du das alles ernst gemeint? Dass du mich als Frau liebst, nicht nur als
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