Julia Aerzte zum Verlieben Band 60
zurückkehren wollte.
Die Vorstellung, alles hinter sich zu lassen und wie ein Einsiedler in einer Strandhütte zu leben, hatte etwas Verlockendes. Vielleicht sollte ich surfen lernen, dachte er.
„Dein Arm ist so gut wie neu. Du kannst dich nicht ewig hier verstecken.“
Sein altes grantiges Ich regte sich, und Finn warf Ethan einen finsteren Blick zu. „Warum nicht?“
„Weil es nicht zu dir passt. Du würdest nur den Kopf in den Sand stecken, um deinen Problemen aus dem Weg zu gehen.“
„Ich soll also zurückgehen und mich ihnen stellen? Und das in einer mit hohem Stress belasteten Arbeitsatmosphäre, wo das Leben anderer Menschen von mir abhängt?“
„Du bist wieder gesund. Körperlich auf jeden Fall, und mental bist du wesentlich entspannter als bei deiner Ankunft. Du hast die Zeit hier bitter nötig gehabt. Emotional bist du allerdings immer noch ziemlich zugeknöpft.“
Finn trank einen Schluck Bier. „Ich bin Chirurg. Wir gehören nicht zu den emotionalen Typen.“
„Falsch, Finn. Chirurg ist dein Beruf, aber nicht das, was dich als Mensch ausmacht. Hinter all den tollen Titeln an deinem Namen bist du auch nur ein Mann, der mitten in einem Hölleninferno seinen sterbenden Bruder in den Armen hielt und nichts dagegen tun konnte. Du konntest ihm nicht helfen. Du konntest ihn nicht retten. Du warst machtlos. Das hat dir tiefere Wunden geschlagen als die Granatsplitter, die in deinem Körper steckten.“
Innerlich zuckte Finn zusammen. In den vergangenen fünf Monaten hatten sie nicht ein einziges Mal über das gesprochen, was vor so vielen Jahren passiert war. Ethan hatte Finn gefunden, im Staub sitzend, von Geschosssplittern getroffen, blutend, während er Isaac in den Armen hielt.
„Ich denke, beim Operieren bist du dem Albtraum wenigstens ein bisschen entflohen. Mit jedem Patienten, den du gerettet hast, konntest du die Schuld, die du dir an Isaacs Tod gibst, etwas besser ertragen. Und wenn du dich emotional nicht öffnest, wenn die Chirurgie die einzige Therapie ist, die du dir gestattest, dann solltest du wieder anfangen zu arbeiten.“
Erneut herrschte Schweigen. Nur das Donnern der Brandung war zu hören.
„Du wirfst mich also raus.“ Finn starrte zum Horizont.
„Nein. Ich habe dir nur einen Therapieansatz genannt. Selbstverständlich kannst du bleiben, so lange du willst.“
Finns Gedanken wirbelten durcheinander wie der Schaum der aufgewühlten Wellen, den er bei seinem täglichen Lauf am Strand zwischen den Felsen sah. Ethan hatte recht, und im Grunde wusste Finn auch, dass sein Rückzug in diese Oase der Ruhe nicht für immer gedacht war.
Reifen knirschten auf Kies und unterbrachen seine Gedanken. Ein feuerroter Mini fuhr auf den Parkplatz.
„Erwarten wir heute einen Neuzugang?“ Ethan runzelte die Stirn.
„Nicht dass ich wüsste.“
Die Männer sahen, wie die Fahrertür aufging und eine Frau ausstieg.
„Oh, verdammt!“, stieß Finn hervor.
2. KAPITEL
Evie lehnte an der Verandabrüstung und blickte aufs Meer. Der Wind spielte mit ihren langen braunen Haaren, zupfte am ausgefransten Saum ihrer abgeschnittenen Jeans und der naturweißen Tunikabluse. Evie atmete die salzige Seeluft tief ein.
„Wahnsinn“, sagte sie beim Ausatmen, und es klang wie ein Seufzer. „Die Aussicht ist unbeschreiblich.“
„Sie ist nicht schlecht“, meinte Finn, während er sich über sich selbst ärgerte. Er genoss nämlich weniger den spektakulären Ozeanblick als vielmehr Evies Rückansicht mit dem sanft gerundeten strammen Po in der kurzen Jeans.
Seit er sich nach ihrem heftigen Liebesspiel auf seinem Sofa praktisch bei Nacht und Nebel davongemacht hatte, hatte er oft an Evie gedacht. Zu oft. Immer wieder sah er sie vor sich, mit ihren großen rehbraunen Augen voller Liebe und Leidenschaft. Ihre Blicke, in denen die Sehnsucht nach Nähe schimmerte. Nach seiner Nähe.
Hier oben in Beach Haven redete er sich fünf Monate lang ein, dass er um Evie einen großen Bogen machen musste. Dass eine Beziehung, die sie sich so sehr wünschte, die schlechteste Idee überhaupt war.
Doch jetzt, als sie keinen Meter von ihm entfernt stand, ihre schlanke weibliche Gestalt so schmerzlich vertraut, da musste sich Finn beherrschen, nicht die Arme nach ihr auszustrecken.
Früher hätte er diese Regung abgetan als etwas, das jeder Mann nach fünf Monaten Abstinenz empfinden würde. Männliches Begehren, mehr nicht. Aber die Einsamkeit und viel Zeit zum Nachdenken hatten bewirkt, dass die alten
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