Julia Aerzte zum Verlieben Band 61
das erotische Knistern, das immer zwischen ihnen herrschte, eisern ignorierte.
„Welche Kabine?“ Er konnte ihren Blumenduft riechen, der ihm inzwischen schon so vertraut war.
„Elf.“ Sie reichte ihm die dicke Patientenakte, hielt sie aber noch fest.
Alessandro hob die Brauen. „Problema?“
„Paige ist die Freundin, von der ich Ihnen erzählt habe. Ihre Tochter McKenzie sollte nächste Woche endlich ihr Implantat bekommen, aber das klappt jetzt wohl nicht. Deshalb ist Paige momentan ziemlich aufgelöst.“ Nat musterte sein finsteres Gesicht. „Also, wenn Sie vielleicht ein bisschen lächeln könnten?“
Er presste den Kiefer zusammen. „Was für ein Implantat?“
Nat ließ den Ordner los. „Ein Cochlear-Implantat. McKenzie ist taub.“
Dann folgte sie ihm in die Kabine. Rasch ließ Alessandro seinen Blick über die Mutter und das teilnahmslose kleine Mädchen mit den Hörgeräten gleiten. Sanft lächelte er Paige zu. Sie wirkte vollkommen erschöpft.
„Hallo, ich bin Alessandro“, sagte er und machte die entsprechenden Gesten der Gebärdensprache dazu.
Nat und Paige waren erstaunt.
„Oh, Sie können die Gebärdensprache?“, rief Paige aus.
Er hatte die englische Gebärdensprache gelernt, als er nach London gegangen war, und vermutete, dass die hiesige ähnlich sein musste. „Sozusagen.“ Wieder lächelte er. „Eine meiner Tanten in Italien ist taub. Als Kind habe ich viel Zeit dort verbracht. Sie war wie eine zweite Mutter für mich. Mein Cousin Val, ihr Sohn, ist ein bekannter Spezialist für Cochlear-Implantate in London.“
Während er sprach, begleitete er seine Sätze automatisch mit der Gebärdensprache. In Gesellschaft von Gehörlosen war dies für ihn eine selbstverständliche Gewohnheit.
Nat wunderte sich über die Veränderung, die in Alessandro vorging, sobald er Patienten behandelte. Er war wunderbar mit McKenzie und unterhielt sich angeregt mit Paige über die geplante Operation. Er schien ein ganz anderer Mensch zu sein. Teilnahmsvoll, lebendig, interessiert.
Wenn er zu Hause nur ein bisschen auch so wäre, würde Nat in zwei Monaten beruhigt ausziehen können. Dann hätte sich die ganze Mühe gelohnt.
6. KAPITEL
Am Freitag saß Nat im Hort mit Julian und einem anderen Jungen auf der Matte. Sie versuchte, eine Freundschaft zwischen den beiden zu fördern. Henry war ein netter Junge, der schon eine ganze Weile versuchte, sich mit Julian anzufreunden. Allerdings ohne großen Erfolg.
Zwar mochte Julian ihn, aber er war anderen Kindern gegenüber immer noch sehr schüchtern und zog es vor, allein zu sein oder in der Nähe von Nat. Er spielte und sprach gerne mit Henry, solange Nat dabei war.
Heute hatte Henry Fotos von seinem Familienurlaub in Neuseeland mitgebracht, die sie sich gemeinsam anschauten. Es war ein sehr schönes Foto von Henry und seiner Mutter darunter. Vor dem Hintergrund eines mächtigen Berges saß er bei ihr auf dem Schoß, während sie ihn umarmte. Sie sahen einander an, und Henry lachte.
Ehrfürchtig betrachtete Julian das Bild, das er ganz vorsichtig nur am Rand anfasste. „Ist das deine Mummy?“
Er konnte seinen Blick gar nicht mehr losreißen, und der Ausdruck in seinem kleinen Gesicht brach Nat das Herz. Auf einmal wurde ihr klar, dass es im Haus der Lombardis überhaupt keine Fotos von Julians Mutter gab.
Im Gegensatz dazu hatte ihre Mutter praktisch einen Schrein für Nats Vater errichtet, obwohl er sie verlassen hatte. Doch wegen Nat wollte sie unbedingt den Kontakt zu ihm aufrechterhalten. Nur schade, dass ihr Vater kein großes Interesse daran gehabt hatte.
Aber für Julian gab es nicht mal ein gerahmtes Foto, das er sich auf den Nachttisch stellen konnte. Keine Familienporträts an den Wänden. Auch Alessandro hatte weder in seinem Arbeitszimmer noch im Schlafzimmer Bilder von seiner Frau, um die er doch offensichtlich immer noch sehr trauerte.
Nat beschloss, ihn heute Abend danach zu fragen. Falls Julian jemals über seinen schweren Verlust hinwegkommen sollte, musste er auch offen trauern dürfen. Und dafür war es nötig, die Existenz seiner Mutter anzuerkennen.
„Und dann wanderten Grandma Poss und Hush weiter nach …“
„Hobart!“
Alessandro lachte und blätterte die Seite in dem Buch um. „Weil?“
„Sie Lamington-Kuchen essen wollten!“
Julian kriegte einfach nicht genug von diesem Opossum-Buch. Beim Vorlesen schien er alles um sich herum zu vergessen.
Im Augenblick saß Alessandro an das Kopfende von Julians
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