JULIA ARZTROMAN Band 26
Öffnung.
Als sie drin war, streckte sie noch einmal die Hand hinaus und bekam ihre Rettungstasche gereicht.
Dann begann der Weg in die Dunkelheit.
Anfangs konzentrierte sie sich darauf, ruhig ein- und auszuatmen, eine Hand vor die andere zu setzen und ein Knie nach dem anderen nachzuziehen. Unversehens stieß sie mit dem Handrücken gegen einen spitzen Stein und hielt inne, um sich die schmerzende Stelle zu reiben. Der fahle Schein der Lampe flackerte über die Wände, und sie sah sich überrascht um.
„Hey! Adam … Mike, das ist gar kein schmaler Tunnel. Hier kann ich sogar stehen. Wollt ihr mir noch mehr Ausrüstung geben? Wahrscheinlich kann ich sie bis zu den Jungen tragen. Das würde Zeit sparen.“
„Halt dich an Plan A.“ Adams Worte hallten hohl von den Wänden wider. „Deine Notfalltasche genügt. Du musst erst die Kinder finden, bevor du dich mit schwerem Gepäck abschleppst. Außerdem kannst du jederzeit zurückkommen und holen, was du brauchst.“
„Wir versuchen inzwischen, das Zeug hier wegzuräumen“, mischte Mike sich ein. „Dann können wir hineinklettern und dir helfen.“
„Okay.“ Schaudernd setzte sie ihren Weg fort.
Adam hatte recht. Er war an einem großen Londoner Krankenhaus einer der Notfallspezialisten gewesen und verfügte über ausreichend Erfahrung, um Sanitäter auszubilden. Deshalb war er auch für den erkrankten Kollegen eingesprungen, der Maggies Fortbildungskurs hatte leiten sollen.
Sie erinnerte sich noch genau, wie ihr Herz schneller schlug, als Adam den Raum betrat, und musste unwillkürlich lächeln. Obwohl sie ihn seit Jahren nicht gesehen hatte, genügte ein Blick auf die schlanke männliche Gestalt und die vertrauten Gesichtszüge, und es war wieder um sie geschehen. Seit ihrer Teenagerzeit verfolgte dieser Mann sie bis in süße, sinnliche Träume.
Ihre Blicke trafen sich, verfingen sich, und sie wusste, dass er sie erkannt hatte. Maggie bekam weiche Knie und war froh, dass sie schon auf ihrem Stuhl saß. Sonst hätte sie sich womöglich noch vor allen anderen Kursteilnehmern blamiert.
„Aua!“ Der Schmerz holte sie unsanft in die Gegenwart zurück. Sie ließ sich auf ein Knie sinken und rieb sich die Stirn.
„Was ist los?“, fragte Adam alarmiert. „Alles in Ordnung, Maggie?“
„Ich bin mit dem Kopf irgendwo gegen gekommen“, beschwerte sie sich und richtete den Lichtstrahl an die Decke. Wurde der Stollen hier schon niedriger? Würde sie kriechen müssen?
Ein dicker Stützbalken hatte sich aus der Konstruktion gelöst und baumelte direkt vor ihrer Nase. Maggie wünschte, sie hätte nicht genauer hingesehen. Der Gedanke, dass nur wenige Zentimeter über ihrem Kopf tonnenschweres Gestein lastete, nahm ihr plötzlich den Atem.
„Maggie?“, rief Adam. „Wir haben abgemacht, dass du mit mir redest, erinnerst du dich?“
Ihr Kopf war wie leer gefegt, sie bekam keine Luft …
„Maggie! Kannst du mich hören? Bist du okay?“
„Ja“, krächzte sie und räusperte sich. Seine Besorgnis half ihr, sich zusammenzureißen. „Ja, Adam, ich höre dich.“
„Du hast aufgeschrien. Bist du verletzt?“
„Hab mir den Kopf gestoßen“, antwortete sie knapp und betastete die Stelle. Wenigstens blutete sie nicht.
„Wo? Ist die Decke auf einmal so niedrig geworden?“
„Nein.“ Sie musste sich zwingen, die nächsten Worte auszusprechen. „Einer der Holzbalken über mir hat sich gelöst. Ich bin dagegengelaufen.“
Adam fluchte leise, doch als er weitersprach, war er die Ruhe in Person. „Mike sagt, das sind Kappen oder Stempel, je nachdem, an welcher Stelle sie sich befinden“, erklärte er.
Es interessierte sie nicht im Geringsten, wie die Dinger hießen! Sie machte sich eher Sorgen, dass die Decke einstürzen könnte, wenn eins dieser Teile nicht mehr da war, wo es hingehörte.
Gewaltsam verscheuchte Maggie die Horrorfantasien. Fünf Kinder warteten auf ihre Hilfe.
„Jem!“ Ein paar Schritte weiter teilte sich der Gang. „Wo seid ihr?“
„Hier, direkt vor Ihnen.“
Die Jungenstimme erklang so dicht, dass Maggie zusammenfuhr. Sie leuchtete in die Richtung, und da war er, keine zehn Meter von ihr entfernt. Schmutzstriemen bedeckten sein totenblasses Gesicht. Aber die Ähnlichkeit mit Kate war unverkennbar. Er hatte die gleichen dunklen Haare und die braunen Augen.
Sie eilte zu ihm. War er verletzt oder eingeklemmt? Warum sonst lag er am Boden?
„Halt!“, schrie er. „Kommen Sie nicht näher. Hier geht es steil
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