JULIA ARZTROMAN Band 26
aßen sie.
„Was für einen Gips kriegt Tel wohl?“, fragte Jem nach einer Weile. „Meiner war grün, aus Kunststoff. Aber ein Mädchen in der Parallelklasse hatte einen schweren weißen Gips.“
„Das hängt von der Röntgenuntersuchung ab. Wenn er nicht nur die Unterschenkelknochen gebrochen, sondern sich auch das Knie verletzt hat, wird wahrscheinlich das ganze Bein eingegipst.“
„Krass! Bei mir war es nur ein Teil vom Arm, wie ein langer Handschuh. Mein Daumen und die Finger waren frei.“
„Wie hast du dir den Arm gebrochen?“
Kurze Pause.
„Ich bin hingefallen“, antwortete er lakonisch, fuhr aber lebhafter fort: „Der Knochen, der kaputtgegangen ist, heißt wie ein Hund. Cocker Spaniel oder Collie oder so ähnlich.“
Sie musste lachen. „Du meinst eine Colles-Fraktur … hier war das, stimmt’s?“ Maggie berührte einen Punkt an seinem Handgelenk.
„Colles-Fraktur“, wiederholte er ernst, als wollte er sich den Begriff einprägen.„Den Gips habe ich ewig getragen. Wochenlang!“
„Nun, dein Freund wird seinen noch viel länger behalten, bis er das Bein wieder voll belasten kann.“
„Wie lange denn?“
„Das ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Bei manchen heilt ein Bruch schneller, bei anderen langsamer. Aber sechs Wochen mindestens.“
„Sechs Wochen!“ Jem machte große Augen. Unerwartet flog ein hoffnungsvoller Ausdruck über sein Gesicht. „Kommt er die ganze Zeit nicht zur Schule?“
„Oh, ich glaube doch.“ Maggie lachte. „Sobald die Ärzte sicher sind, dass die Heilung normal verläuft, ist er wieder in deiner Klasse.“
Besonders glücklich schien er darüber nicht zu sein.
„Jem?“ Sie hatte eine unbestimmte Ahnung, wusste aber nicht, wie sie anfangen sollte. Mit Kindern seines Alters kannte sie sich nicht aus. Wenn sie nun das Falsche sagte? „Wie lange seid ihr beide schon befreundet?“, fragte sie schließlich. Das erschien ihr ungefährlich.
Er antwortete nicht sofort. Ihr Verdacht, dass da irgendetwas im Busch war, verstärkte sich. Würde Jem sich ihr anvertrauen oder sie mit Ausflüchten abspeisen?
„Tel ist nicht mein Freund“, gestand er leise. Dabei glitt sein Blick ängstlich zu dem bewusstlosen Jungen.
„Nein?“ Maggie hatte es schon vermutet. Aber warum hatte Jem dann unbedingt unten in der Mine bleiben wollen, während sie die anderen drei Jungen nach draußen brachte?
„Er ärgert mich immer … er und seine Freunde“, gab er widerstrebend zu.
Als Erwachsene wusste Maggie, dass man sich gegen jede Form von Schikane wehren sollte. Andererseits erinnerte sie sich noch gut an ihre Kindheit. Wehe, du sagst es weiter, hieß die oft gebrauchte Drohung. Wer sich nicht an dieses Gesetz hielt, hatte Schlimmes zu befürchten.
Sie war älter gewesen, ein Teenager, als sie Ähnliches erlebt hatte. Auch hatten die Mädchen, die sie zur Zielscheibe erwählt hatten, sie nicht mit körperlicher Gewalt drangsaliert. Ihre Methoden, sie zu erpressen und zu demütigen, waren weitaus subtiler gewesen. Narben hinterließen sie trotzdem.
Maggie legte ihm den Arm um die Schultern und drückte ihn kurz. Die silbrige Rettungsdecke, die sie um ihn gewickelt hatte, knisterte. „Was für Idioten. Du warst super heute. Wenn wir wieder draußen sind, mache ich mich schlau, wie wir deine Tapferkeit belohnen können.“
„Das geht nicht“, meinte er geknickt.
„Warum nicht? Du hast es verdient.“
„Habe ich nicht. Ich … es war meine Idee, in die Mine zu gehen. Ich bin schuld, dass Tel ohnmächtig ist und blutet, dass Chris sich verletzt hat und dass so viele Leute helfen müssen.“
Wie sollte sie das verstehen?
„Wenn Tel und seine Bande dich schikaniert haben, warum bist du dann mit ihnen gegangen? Haben Sie dich dazu gezwungen?“
„Nein, das nicht, aber …“ Furchtsam blickte er sie an. „Versprechen Sie mir, dass Sie niemandem davon erzählen? Auch nicht meiner Mum. Sonst wird alles nur noch schlimmer.“
Das ungeschriebene Gesetz, zu schweigen. Die Opfer hielten still, und die Täter machten ungestört weiter. Genauso war es bei Maggie früher auch gewesen.
Um ihn zu beruhigen, nickte sie. Gleichzeitig verspürte sie das kindliche Bedürfnis, hinter dem Rücken die Finger zu kreuzen. Sie hatte nämlich nicht die Absicht, ihr Wort zu halten. Der Rektor seiner Schule sollte schnellstens erfahren, dass seine Schüler andere tyrannisierten.
„Tel und die anderen wollten mir mein Fahrrad wegnehmen … es ist noch ganz neu, ich
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