JULIA ARZTROMAN Band 26
jedoch erst vor einem Jahr richtig klar, als er einen Kursraum betrat und unerwartet Maggie unter den Anwesenden entdeckte. Zuerst traute er seinen Augen nicht, und ihrer überraschten Miene nach zu urteilen, schien es ihr nicht anders zu ergehen.
Adam war kurzfristig für einen erkrankten Kollegen eingesprungen, der den Kurs leiten sollte. Allerdings hatte er in den ersten Minuten Mühe, sich auf den Stoff zu konzentrieren. Er dachte an die Kaffeepause in anderthalb Stunden, weil er es kaum erwarten konnte, mit Maggie zu reden. Das letzte Mal war Jahre her, und sie war damals süße sechzehn gewesen.
In der Zwischenzeit hatte er sie zwar kurz gesehen, aber nicht mit ihr gesprochen. In jenem Sommer war er nach Hause gekommen, weil sein Vater vermisst wurde. Tage bangen Wartens vergingen, ehe sie schließlich erfuhren, dass er das Unwetter nicht überlebt hatte. Bei der Trauerfeier nannte man ihn einen Helden, da er Schulkindern, die von der Flut überrascht worden waren, das Leben gerettet hatte. Für Adam und seine Mutter jedoch war es nur ein schwacher Trost.
Sie beschloss, Penhally Bay zu verlassen und in die Nähe ihrer Verwandten zu ziehen, und Adam half ihr noch beim Umzug, bevor er zu seinem Studium nach London zurückkehrte. Mit sich nahm er die Erinnerung an Maggie, an ihre wunderschönen braunen Augen und den mitfühlenden Blick, als sie ihm auf dem Friedhof die Hand drückte. Adam nahm sich fest vor, nach Penhally Bay zurückzukommen, wenn aus dem Mädchen eine junge Frau geworden war.
„Adam?“
Beim Klang der zaghaften Stimme bekam er eine Gänsehaut. „Maggie?“
Um ihn herum erstarrte jeder mitten in der Bewegung. Alle lauschten gespannt.
„Es tut mir leid“, sagte sie heiser.
Wahrscheinlich hatte sie geweint. Er ahnte, dass sie die Verbindung unterbrochen hatte, weil sie kurz vor einem Nervenzusammenbruch gewesen war. Maggie hatte Zeit für sich gebraucht. Aber bis zu diesem Moment war Adam sich nicht sicher gewesen, ob sie überhaupt wieder Kontakt mit der Außenwelt aufnehmen würde.
„Dir muss gar nichts leidtun.“ Die Erleichterung milderte seine Schuldgefühle nicht. „Ich bin an allem schuld. Wenn ich dich nicht dazu gebracht hätte, in die Mine …“
„Nicht, Adam“, unterbrach sie ihn matt. „Ich will nicht die nächsten … was auch immer … damit verbringen, das Wörtchen-wenn-Spiel zu spielen. Wenn ich das Brecheisen nicht ausgerechnet an die Stelle gesteckt hätte … Wenn ich den Weg besser frei geräumt hätte, damit Pete nicht stolpert … Ich möchte einfach nur …“, begann sie bebend, schwieg dann aber.
Eine große Faust schien sein Herz zusammenzupressen, und er war nicht sicher, ob seine Stimme ihm gehorchen würde. Also sagte er erst einmal nichts.
„Ich sitze hier im Dunkeln“, meldete sie sich nach einer schier endlosen Pause.
Bestürzt unterbrach er sie. „Verdammt, Maggie, ich dachte, die Taschenlampe funktioniert noch.“ Wie viel schlimmer sollte es für sie noch werden!
„Sie ist nicht kaputt, Adam. Ich habe sie ausgemacht.“
„Warum?“
„Um die Batterien zu schonen, und … weil ich mir dann … einbilden kann, dass nicht Millionen Tonnen Felsen über mir … Oh, bitte, Adam, redest du ein bisschen mit mir?“, bat sie mit dünner Stimme.
„Natürlich. Worüber willst du reden?“ In diesem Moment hätte er ihr jeden Wunsch erfüllt. Der Himmel allein wusste, wie lange sie ihn noch hören konnte. Alles in ihm sträubte sich dagegen, sich eine Welt ohne Maggie vorzustellen. Ohne ihre Tapferkeit, ihr warmherziges, mitfühlendes Wesen, ihr bezauberndes Lachen. Doch sein Verstand sagte ihm, dass die Chancen schlecht standen.
Wie sollten sie in der knappen Zeit, die ihnen zur Verfügung stand, diesen Berg Steine abtragen? Es könnte Wochen dauern, bis sie die Stollen so abgestützt hätten, dass keine weiteren Einstürze zu befürchten waren.
„Über alles.“ Jetzt klang sie wie das junge Mädchen von damals. Warum hatte er so viel Zeit verschwendet? Warum war er nicht nach Penhally Bay zurückgegangen, bevor er Caroline kennenlernte? Sein – und Maggies – Leben wäre anders verlaufen.
„Erzähl mir von deiner Frau“, sagte sie, als hätte sie seine Gedanken gelesen. „Erzähl mir von Caroline.“
Adam brannten die Ohren bei der Vorstellung, dass die gesamte Rettungsmannschaft dieses persönliche Gespräch mit anhören würde. Aber wie könnte er Maggie diese Bitte abschlagen?
„Wo habt ihr euch denn kennengelernt? Hat sie
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