JULIA ARZTROMAN Band 26
fünf. Im Ort waren die Lichter angegangen, funkelnde Sternchen, die den Hafen säumten. Der Anblick hatte etwas Heimeliges, und Lucy konnte sich vorstellen, wie es sein musste, wenn man in den Hafen einlief und die Lichter von zu Hause vor sich sah.
Geborgenheit. Sicherheit.
Unwillkürlich dachte sie an Ben. Sie folgte den Rücklichtern seines Wagens mit den Augen. Die roten Pünktchen glitten die Harbour Road entlang, dann die Bridge Street, an Lucys Haustür vorbei, und verschwanden schließlich in der Dunkelheit.
Noch zweieinhalb Stunden. Ein erwartungsvoller Schauer durchrieselte sie, und sie verspürte ein Gefühl, das sie lange, lange nicht mehr empfunden hatte.
„Kate?“
Der Besucher klopfte ungeduldig zum zweiten Mal, ehe Kate die Tür öffnen konnte. Sie zog sie auf, und vor ihr stand Nick, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben. Seine düstere Miene gefiel ihr gar nicht.
„Hallo, Nick. Was kann ich für dich tun?“
„Ach, ich wollte nur … Ich habe die letzten Sachen aus dem Haus geholt. Es ist ein komisches Gefühl – da geht eine Ära zu Ende. Der Makler erwartet einen guten Erlös aus der Auktion und hat vorgeschlagen, den Startpreis hoch anzusetzen. Notfalls könnte man es im Frühjahr noch einmal anbieten. Aber ich will jetzt verkaufen.“
„Mit einem weinenden Auge?“
„Überhaupt nicht.“
Kate glaubte ihm nicht. Manchmal dachte sie, dass sie ihn noch besser kannte als er sich selbst. Dieser Schritt musste ihm unsagbar schwerfallen. Das Elternhaus seiner Mutter zu verkaufen, dort, wo er selbst geboren und aufgewachsen war und wo sein Vater bis zu seinem Tod gelebt hatte … Vielleicht hatte er sich früher vorgestellt, mit Annabel dort seinen Ruhestand zu genießen, aber der Traum war ausgeträumt. Jetzt brauchte er das Haus nicht mehr.
Armer Nick. Er hatte so viel verloren. „Ich bin sicher, dass alles gut klappt“, versicherte sie. „Hast du Zeit für einen Kaffee?“
„Ich denke schon.“
Er folgte ihr in die Küche. Gegen den Küchenblock in der Mitte des Raumes gelehnt sah er zu, wie sie Wasser aufsetzte und Tassen aus dem Schrank holte. „Wo ist Jem?“
„Im Bett, Nick. Es ist fast zehn.“
„Wirklich?“ Ungläubig blickte er auf seine Armbanduhr. „Tatsächlich. Tut mir leid, soll ich wieder gehen?“
„Nein, nein. Komm, wir setzen uns.“ Sie reichte ihm seinen Kaffee und ging voran ins Wohnzimmer.
Nick setzte sich neben sie aufs Sofa und ließ den Kopf gegen die Lehne sinken. „Ich bin völlig fertig.“
„Das glaube ich dir gern. Es war bestimmt hart, das Haus auszuräumen. Du hättest dir Hilfe holen sollen.“
„Nein.“ Ein Wort nur. Das Thema war erledigt. Nick richtete sich auf und starrte in seinen Kaffee. „Weißt du, wo Lucy ist?“
„Zu Hause, im Bett, schätze ich.“
„Ihr Wagen steht nicht mehr an der Praxis.“
„Vielleicht hat sie sich mit ihren Freundinnen getroffen. Sie geht manchmal mit Chloe und Lauren essen.“
„Und wenn nicht? Wenn sie … Ärger hat?“
„Warum sollte sie, Nick?“
„Ich rufe sie an.“
„Nein, lass mich das machen, wenn es unbedingt sein muss. Mir wird sie nicht den Kopf abreißen.“
Kate stellte ihre Tasse ab, stand auf und verschwand in der Küche. Was mit dem schnurlosen Telefon nicht nötig gewesen wäre, aber sie wollte nicht, dass Nick zuhörte.
„Lucy, dein Vater macht sich Sorgen um dich“, sagte sie, als Lucy sich meldete. „Ich habe ihm gesagt, dass du wahrscheinlich mit Freunden zum Essen bist.“
Kurzes Schweigen.
„Äh … ja, so ungefähr.“
„Dachte ich mir. Viel Spaß – und mach dir keine Gedanken.“
Lucy zögerte. „Kate, halt ihn mir vom Leib, ja?“, bat sie dann.
„Natürlich. Bis morgen.“
„Danke.“
Kate legte auf und kehrte ins Wohnzimmer zurück.
„Und?“
„Sie ist unterwegs, wie ich gesagt habe.“
„Sonst sagt sie mir immer Bescheid, wenn sie mit ihren Freundinnen ausgeht. Ich dachte, sie ist vielleicht mit dem Vater zusammen.“
Wohl wahr, dachte Kate und behielt lieber für sich, dass Lauren mit Martin ausgegangen war, Alison bei ihrem kranken Kind zu Hause bleiben musste und Chloe Dienst hatte.
„Wenn ich den Kerl zu fassen kriege!“ Nick redete sich in Rage. „Was ist das für ein Mann? Erst schwängert er sie, und dann lässt er sie mit allem allein. Wie konnte sie nur auf so einen hereinfallen?“
„Reg dich nicht auf, Nick. Lucy ist erwachsen. Sie weiß, was sie will, und lässt sich von niemandem sagen, was sie zu
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