Julia Arztroman Band 62
organisierte Harrys OP und seine Sprechstunden so effektiv wie möglich, wobei sie nicht sonderlich darauf achtete, irgendwelche Freundschaften zu schließen. Sie traf sich nicht mit Kollegen und hatte auch keine Zeit für Klatsch oder unnützen Smalltalk.
Sie wurde respektiert. Ob man sie mochte oder nicht, spielte für sie keine große Rolle.
Paige lachte. „Na, dann wird’s ja höchste Zeit, dass sich das ändert, oder?“
Gloria lachte ebenfalls. „Allerhöchste Zeit, würde ich sagen.“
Sie plauderten, während Paige sich umzog, und danach trennten sich ihre Wege. Gloria ging ins Dienstzimmer, um mit ihren Kollegen noch einen Kaffee zu trinken. Paige dagegen bereitete den Operationssaal für den ersten Eingriff vor.
Sie nahm die OP-Liste ab, die an der Tür des Anästhesieraums hing. Nicht dass sie die Liste gebraucht hätte, denn sie wusste genau, welche Patienten heute an der Reihe waren. Vermutlich hätte sie sogar alle Fälle für den ganzen nächsten Monat aufsagen können. Dem kommenden Montag galt allerdings ihre größte Aufmerksamkeit.
Heute Vormittag standen zwei pädiatrische Patienten auf der Liste. Kinder kamen immer zuerst dran. Das bedeutete weniger Stress für die Eltern, die dadurch nicht den ganzen Tag warten mussten. Aber auch für die Kinder war es besser, da viele von ihnen Angst vor der klinischen Umgebung im Krankenhaus hatten. Und sie konnten nicht verstehen, warum sie vor ihrer Operation nicht essen und trinken oder herumlaufen durften.
Am Montag würde McKenzies Name als erster auf der Liste stehen. Bei dem Gedanken hob sich Paiges Stimmung noch mehr. Sie konnte sich nicht daran erinnern, wann sie sich jemals so gelöst gefühlt hatte. Drei lange, harte Jahre lagen hinter ihr, und sie konnte kaum glauben, dass es jetzt endlich geschafft war.
Als sie durch die Schwingtür kam, spürte sie die Kälte im Operationssaal. Sie rieb ihre Arme gegen die Gänsehaut. Bald würde sie mit Kittel und Maske unter den heißen OP-Leuchten stehen und sich nach der Kühle sehnen. Aber momentan kroch ihr die Kälte in die Knochen, die ja keine besonders dicke Schutzschicht besaßen.
Du bist zu dünn.
Wieder einmal kam unerwartet die Erinnerung an Valentinos Worte aus jener schicksalhaften Nacht in ihr hoch, als er seine Finger über ihren Rücken hatte gleiten lassen. In der Stille des leeren OPs hörte Paige seine Worte so deutlich in ihrem Kopf, dass sie sich sogar umschaute, ob er vielleicht plötzlich hinter ihr stand.
Nein. Sie war allein.
Missbilligend schüttelte sie den Kopf. In den vergangenen zwei Monaten hatte sie viel zu oft an den Mann gedacht. Normalerweise konnte sie die Gedanken an ihn in ihre nächtlichen Träume verbannen. Aber manchmal tauchten sie ganz unvermittelt auf.
Eigentlich hätte sie über seinen Kommentar gekränkt sein sollen. Aber das glühende Begehren in seinen Augen hatte ihr gezeigt, dass ihn ihre Figur keineswegs abschreckte. Im Gegenteil.
Er hatte lediglich eine Tatsache festgestellt. Sie war dünn.
Seit der Geburt der Zwillinge hatte sie jeglichen Appetit verloren. Daisys Tod, dass Arnie sie verlassen hatte und McKenzies schwache Gesundheit waren einfach zu viel für sie gewesen. Sie aß nur noch, um ihren Körper am Leben zu erhalten, ohne jeden Genuss.
All ihre Energie konzentrierte sich auf McKenzie und deren Bedürfnisse. An sich selbst dachte Paige kaum. Außerdem schmeckte alles, was sie aß, irgendwie nach nichts.
Lautes Gelächter draußen auf dem Korridor brachte sie wieder in die Realität zurück, und sie schob die Gedanken an Valentino beiseite. Heute Nacht konnte sie wieder an ihn denken, von ihm träumen. Sehr intensive Träume, aus denen sie regelmäßig schweißgebadet aufwachte. Mit seinem Namen auf ihren Lippen, dem Geschmack seiner Haut in ihrem Mund und einem Gefühl, als ob ihr Körper erwartungsvoll prickelte, sich anspannte und sich nach ihm sehnte.
Paige holte die Wagen, stellte sie rings um den OP-Tisch auf und wischte sie mit einer sterilen Lösung ab. Dann ging sie in den Sterilisationsraum, wo mehrere mit blauem Tuch abgedeckte Instrumenten-Tabletts vorbereitet standen. Sie griff sich eins davon, zusammen mit weiteren Tüchern, Kitteln und zwei paar Handschuhen für Harry und seinen Assistenzarzt.
Nachdem sie alles auf den Wagen im OP verteilt hatte, holte sie noch weitere Utensilien, die Harry benötigen würde: Nahtmaterial, Verbandsmaterial und natürlich das Implantat selbst.
Paige drehte die Schachtel mit der
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