Julia Arztroman Band 62
immer Harrys Überzeugung gewesen, dass er McKenzie ihr Hörvermögen zurückgeben konnte, welches sie durch ihre Frühgeburt verloren hatte.
Doch jetzt stand auch das auf dem Spiel. „Meine Tochter sollte am Montag operiert werden.“
Valentino nickte. „Ja, das hat Harry mir erzählt.“ Tatsächlich hatte Harry Abbott ihm gesagt, dass Paige sicher sehr betroffen sein würde.
Ihr war zum Weinen zumute. Am liebsten hätte sie geschrien und getobt.
„Es ist okay. Ich werde die Operation durchführen“, erklärte Valentino.
Scharf sah sie ihn an. „Nein!“
„Du glaubst, ich bin kein guter Chirurg?“
Sie musste sich zusammenreißen, um nicht hysterisch zu werden. „Woher soll ich das wissen, Valentino? Ich weiß gar nichts über dich.“
Er hob die Brauen. „Wirklich? Ich erinnere mich an eine Nacht, die das Gegenteil beweist.“
Paige machte eine zornige Handbewegung. „Du weißt genau, dass ich das beruflich gemeint habe“, fuhr sie ihn an. „Und sprich nie wieder über diese Nacht. Okay? Nie wieder.“
Auch wenn er durchaus die Absicht hatte, darüber zu sprechen und sie nach Möglichkeit auch zu wiederholen, wusste er, dass es besser war, erst einmal nachzugeben. Daher hob er beschwichtigend die Hände.
„Ich bin ein erstklassiger Chirurg für Cochlea-Implantate. Ich leite die Audiologische Abteilung eines großen Londoner Krankenhauses. Außerdem bin ich Vorsitzender eines internationalen Komitees für Cochlea-Implantate. Ich habe diese Operation schon unzählige Male durchgeführt, sowohl an Kindern als auch an Erwachsenen.“ Er stemmte die Hände in die Hüften. „Und ich bin ein verdammt guter Chirurg.“
Paige schüttelte den Kopf. Seine Arroganz und seine zahlreichen Qualifikationen stießen bei ihr auf taube Ohren. Denn hier ging es um McKenzie.
McKenzie. Ihre Tochter. Glaubte er allen Ernstes, sie würde einem völlig Unbekannten gestatten, sie aufzuschneiden? Ihr ein Loch in den Schädel zu bohren?
Dennoch war Paige unschlüssig. McKenzie brauchte die Operation, um endlich aus ihrer Welt des Schweigens herauszukommen. Und wenn die OP jetzt wieder verschoben wurde, wie lange würde es dann noch dauern? „Ich warte lieber, bis Harry wieder zurückkommt“, sagte sie trotzdem.
Valentino zuckte unmerklich zusammen, überrascht, dass ihre Absage ihn so sehr persönlich traf. Er verbeugte sich steif. „Selbstverständlich. Das ist dein gutes Recht.“
Sie nickte. „Ja.“
„Es könnte allerdings lange dauern“, meinte er. „Harry hat von Monaten gesprochen. Vielleicht sogar ein Jahr, wenn Ben eine langwierige Reha benötigt.“
Die Vorstellung, dass McKenzie noch so lange warten musste, brach Paige das Herz. Sie hatten jetzt schon so lange gewartet.
Valentino sah die tiefe Enttäuschung in ihren großen grauen Augen. „Warum wartest du mit deiner Entscheidung nicht bis heute Abend? Beobachte mich in Aktion. Danach kannst du es mir immer noch sagen, wenn du wirklich nicht willst, dass ich deine Tochter operiere.“
„Es geht doch nicht nur darum“, entgegnete sie schroff.
Er musterte sie prüfend. „Ich werde McKenzie nicht anders behandeln als meine anderen Patienten.“
„Und mich?“
Achselzuckend erwiderte er: „Wie jede andere Mutter.“
„Ach ja? Mit wie vielen anderen Müttern hast du denn noch geschlafen?“
Valentino lächelte zögernd. „Ich dachte, wir wollten nicht darüber sprechen?“
Paige seufzte müde. „Tun wir auch nicht.“ Fragend sah sie ihn an. „Ich verstehe nicht einmal, wieso du überhaupt hier im Land bist.“
„Vor ein paar Monaten hatte ich ein Vorstellungsgespräch bei Harry. Er denkt darüber nach, in den Ruhestand zu gehen.“
„In den Ruhestand?“, rief Paige aus. „Davon hat er mir nie etwas gesagt!“
„Er ist achtundsechzig“, erwiderte Valentino ruhig.
„Ja, aber …“ Normalerweise besprach Harry alles mit ihr. Und er hatte noch so viel zu geben.
„Ich wollte schon seit einer ganzen Weile mal in Australien arbeiten“, fuhr Valentino fort. Dabei ruhte sein Blick auf der kleinen steilen Falte zwischen Paiges karamellbraunen Augenbrauen. „Ich glaube, ich kann hier noch einiges lernen, was ich zu Hause gut gebrauchen kann. Ich habe mein Visum, jetzt brauche ich nur noch den richtigen Job. Ich war gerade auf einem Symposium in Melbourne.“
„‚Das künstliche Ohr im einundzwanzigsten Jahrhundert?‘“, fragte Paige abwesend. Harry hatte erst vor zwei Tagen einen Vortrag dort gehalten.
„Ja“,
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