Julia Arztroman Band 62
bestätigte Valentino. „Harry hat mich heute ganz früh morgens angerufen und mich gebeten, für ihn einzuspringen. Ich habe den Fünf-Uhr-Flug von Melbourne hierher genommen.“
„Oh.“ Das hieß also, dass sie tatsächlich miteinander arbeiten würden. Das hatte sie nicht eingeplant. Andererseits, wann war in den letzten drei Jahren überhaupt irgendetwas in ihrem Leben nach Plan verlaufen? Bitterkeit stieg in Paige auf. Konnte ihr das Schicksal nicht endlich mal eine Pause gönnen?
Valentino richtete sich auf und kam auf sie zu. Er blieb vor ihr stehen. „Schau mir heute zu, Paige“, sagte er. „Und danach reden wir.“
Sie spürte, wie seine tiefe Stimme ihre Nerven und die quälende Unruhe besänftigte, die ihr den Magen wie mit einer eisernen Faust zusammendrückte.
Ehe sie ablehnen und ihn wieder zurückweisen konnte, wandte er sich ab und verließ den Anästhesieraum.
Paige schaute ihm nach. So viel zu ihrer freudigen Stimmung von vorhin. Wie konnte es sein, dass ihr Tag schon so früh den Bach runtergegangen war?
Bereits die ersten zehn Minuten der ersten Operation genügten, um Paige von Valentinos Fähigkeiten zu überzeugen. Er war in der Tat ein hervorragender Chirurg. Effizient, ruhig, sicher und kompetent. Er arbeitete nach einem methodischen Ansatz, war sehr sachkundig, immer höflich, und trotz der Maske und dem grünen Kittel, der ihn von Kopf bis Fuß einhüllte, wirkte er auf alle ausgesprochen charmant.
Es gab keine Schwester, mit der er nicht flirtete, inklusive Di Hamilton, die seit fünfunddreißig Jahren verheiratet war und zwölf Enkel hatte. Es war offensichtlich, dass Valentino Frauen mochte, und Paige beobachtete, wie er sie alle in seinen Bann zog.
Aber er konnte auch gut mit Männern umgehen. Von dem unsicheren Assistenzarzt bis hin zum Pfleger, der die OP-Leuchte justierte, nahm Valentino sie für sich ein, indem er sich mit ihnen über Fußball, australisches Bier und die Benzinpreise unterhielt.
Alle liebten ihn, und Paige wünschte, sie könnte dasselbe von sich behaupten. Doch jede zufällige Berührung, wenn sie ihm ein Instrument reichte, wühlte sie auf. Jede Bewegung, jedes leise Lachen und der Klang seiner Stimme versetzten sie zurück in jene Nacht. Wie er sich in ihr angefühlt hatte. Und das regte sie nur noch mehr auf. Sie hatte schließlich andere Sorgen.
Harry und sein Enkel.
McKenzie.
Paige wollte einfach nur noch weg. So weit weg von Valentino Lombardi wie nur möglich.
Nachdem die letzte Operation des Tages vorbei war, zog Paige sich in Windeseile um. Glücklicherweise hatte Valentino den OP-Bereich schon verlassen, um Visite auf der Station zu machen, sodass sie endlich wieder frei atmen konnte. Rasch räumte sie auf.
Eine halbe Stunde später war sie zurück in der Audiologischen Abteilung, wo sie die notwendigen Eintragungen in den Patientenakten vornahm. Da sie die nächsten sechs Wochen freihatte, achtete Paige genau darauf, alles korrekt zu hinterlassen.
„Ah, hier bist du.“
Paige fuhr leicht zusammen und wappnete sich innerlich, als sie von ihrer Akte aufblickte. Valentino stand in der Tür. Jetzt trug er eine Hose mit einem am Hals offen Businesshemd, bei dem die Ärmel aufgekrempelt waren, und sah unglaublich sexy darin aus.
„Deine Haare sind plattgedrückt“, bemerkte Paige.
Mit einem leisen Lachen fuhr er sich durch die Locken. „Ja.“ Bei ihren kurzen Haaren gab es vermutlich nicht viel plattzudrücken.
„Ich dachte, es würde dich vielleicht interessieren zu erfahren, dass Bens Zustand sich etwas stabilisiert hat.“
„Oh, wie gut!“ In einer Operationspause hatte sie versucht, Harry anzurufen, aber nur seine Mailbox erreicht. „Vielen Dank.“
Wenn jemand wusste, wie es war, sein Kind auf der Intensivstation zu sehen, dann Paige.
Valentino nickte. „Wir wollen nach der Arbeit alle zusammen was trinken gehen. Komm doch auch mit. Ich kann dich mitnehmen.“
„Tut mir leid, das geht nicht.“
„Wer kümmert sich um McKenzie, wenn du arbeitest?“
„Meine Mutter.“
„Ich bin sicher, sie hätte nichts dagegen, noch eine Stunde länger zu bleiben“, meinte er.
Paige wusste genau, dass das kein Problem wäre. Aber darum ging es nicht. Was wusste ein italienischer Playboy schon von ihrem banalen häuslichen Alltag?
„Sorry, ich kann nicht.“
Valentino kam herüber und stützte beide Hände auf den Schreibtisch, an dem sie saß. Er schaute auf sie hinunter, betrachtete ihre hohen Wangenknochen und die
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