Julia Arztroman Band 62
Erster. Er lächelte McKenzie zu, während er die Gebärdensprache benutzte. „Heute ist es so weit, stimmt’s?“, meinte er zu Paige.
McKenzie lief sofort zur Spielecke des geräumigen Wartezimmers, weil sie wusste, dass dort die Puzzles lagen.
„Ja“, antwortete Paige mit einem etwas mühsamen Lächeln.
Beruhigend tätschelte Greg ihren Arm. „Es ist bestimmt alles okay.“
Sie nickte, obwohl ihre Hände zitterten. Natürlich. „Ich bin ein bisschen früh dran. Ist Ellen schon da?“
„Ich glaube, Valentino wird das übernehmen“, erklärte Greg.
„Oh.“ Damit hatte sie nicht gerechnet. Ellen war die zweite Audiologin der Abteilung, und heute hatte eigentlich sie Dienst. Valentino musste sich wohl extra Zeit für McKenzie genommen haben.
Der Knoten in Paiges Magen zog sich noch enger zusammen. Auch wenn alles nach Plan lief, würde es vermutlich eine sehr emotionale Angelegenheit werden. Und sie war doch ohnehin schon oft genug vor Valentino in Tränen ausgebrochen.
„Ich glaube, er ist schon in seinem Sprechzimmer“, meinte Greg.
Beunruhigt schaute Paige zu Harrys Zimmer, in dem jetzt Valentino arbeitete. Sie war gespannt und aufgeregt, aber auch ängstlich und nervös. Was wäre, wenn sie kein Ergebnis bekamen?
„Geh schon“, drängte Greg. „Es wird bestimmt gut gehen.“
Sie holte tief Luft und nickte. Dann durchquerte sie den Raum und hockte sich neben ihre Tochter. „Komm, McKenzie. Wir müssen zu Dr. Valentino“, sagte und gebärdete sie zugleich.
McKenzie lächelte sie an, und gemeinsam gingen sie auf die Tür zu, hinter der ein ganz neues Leben lag. Paige klopfte kurz, ehe sie eintrat.
Als Valentino von einem Stapel Unterlagen auf seinem Schreibtisch aufschaute, begegnete er Paiges Blick. Sie sah ihn zutiefst aufgewühlt an, und er wusste genau, welcher Gefühlsaufruhr in ihr herrschte. Schon bei Hunderten von Eltern hatte er denselben Ausdruck gesehen, wenn der entscheidende Moment bevorstand.
Paige wirkte zudem sehr erschöpft. Die dunklen Schatten unter ihren Augen ließen diese noch größer erscheinen. Ihre Kleider waren wie immer zwei Nummern zu groß und hingen lose an ihr herunter. Ob sie überhaupt irgendetwas von den Leckereien gegessen hatte, die er ihr in den letzten Wochen regelmäßig hatte liefern lassen?
„Paige.“ Valentino stand auf und sah McKenzie an. „Hallo“, meinte er lächelnd. „Na, bist du bereit?“ Da sie nickte, gebärdete er: „Kommt rein.“
Paige, die die Hand ihrer Tochter festhielt, blieb jedoch an der Tür stehen. „Du brauchst das nicht zu machen. Ellen wird gleich da sein, und du hast doch Operationstag.“
Sie wusste nicht genau, weshalb sie sich innerlich so dagegen sträubte, dass Valentino das Gerät aktivierte. Vor einigen Wochen wäre es ihr völlig gleichgültig gewesen, wer es getan hätte. Und wenn es sich um einen trainierten Affen gehandelt hätte. Aber bei diesem italienischen Playboy war es etwas anderes. Zwischen ihnen gab es mehr als eine rein berufliche Verbindung. Egal, wie sehr sie es auch zu ignorieren versuchte.
Zwischen ihnen herrschte Intimität, und aus bitterer Erfahrung wusste Paige, dass Intimität einen verletzlich machte. Sie hatte sich geschworen, dass ihr das in Bezug auf Männer nie wieder passieren würde.
Vermutlich hätte es ihr nichts ausgemacht, wenn sie nicht mit Valentino geschlafen hätte. Aber leider war es nun mal so. Während er offensichtlich gar keine Probleme damit hatte, sich davon zu distanzieren, gelang es ihr längst nicht so gut.
Achselzuckend erwiderte er: „Eine OP wurde abgesagt.“
Erstaunt überlegte sie, welche Patienten für diese Woche eingeplant waren. „Bei wem?“
„Paige“, sagte er tadelnd. „Du bist nicht im Dienst, schon vergessen?“
„Ich weiß. Es ist bloß …“ Sie konnte es nicht einfach so hinnehmen. „Deshalb haben wir ja zwei Audiologen, damit einer die Operationen durchführt.“
„Und seine Belohnung verpasst? Das hier ist doch der schönste Teil meiner Arbeit. Der Augenblick, in dem mein Patient zum ersten Mal etwas hört. Dafür lohnt sich das alles.“
Seine Antwort machte Paige verlegen. Seit McKenzies Operation waren jeden Tag verführerische Köstlichkeiten bei ihr angekommen. Von Blätterteig-Pasteten über herrliche Pizzas bis hin zu wunderbaren Pralinen. Alles von Valentino.
Sie hatte versucht, ihn als charmanten Schönling abzutun. Doch wie konnte sie das, wenn er ihr solche Geschenke zukommen ließ und so aufrichtige Worte
Weitere Kostenlose Bücher