Julia Arztroman Band 62
der Brief nicht erreicht haben?“
„Nein. So weit ich wusste, warst du noch in Florenz. Ich konnte ja nicht ahnen, dass du einen Job im Ausland angenommen hattest.“
„Ein Anruf im Krankenhaus, und man hätte dir gesagt, wo du mich erreichst.“ Er lächelte dünn. „Aber du hast nicht gefragt, oder? Du fandest es völlig in Ordnung, mich darüber im Ungewissen zu lassen, dass ich Vater werde.“
„Ja, das stimmt.“ Sie stand ganz aufrecht, um sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr sie seine Worte schmerzten. „Schließlich hast du bei unserer Trennung deine nicht vorhandenen Gefühle für mich deutlich ausgesprochen. Außerdem hatte ich nicht die Absicht, dich zu irgendetwas zu verpflichten.“ Sie schluckte. „Vielleicht hätte ich dich ausfindig machen können, aber meine Entscheidung lag in unser beider Interesse.“
„Wie bitte? Wie kann es in meinem Interesse sein, nicht zu wissen, dass ich ein Kind habe? Und wie kann es in Lilys Interesse sein, nicht zu wissen, wer ihr Vater ist? Verzeih meine Naivität, aber ich begreife einfach nicht, wer außer dir von deinen Lügen profitiert hat.“
„Ich?“
„Ja, du. Wir hatten eine Affäre und sind dann getrennte Wege gegangen. Die Feststellung, dass du schwanger bist, war bestimmt ein Schock für dich. Vielleicht hast du damals sogar über einen Abbruch nachgedacht, dann aber aus irgendeinem Grund entschieden, das Kind zu behalten, mich jedoch aus dem Spiel zu lassen. Vermutlich hattest du schon wieder eine neue Beziehung und …“
„So war das nicht!“
„Wie war es dann? Komm schon, Gina, ich will wissen, warum du mich aus dem Leben unserer Tochter ausgeschlossen hast.“
Gina wollte gerade antworten, als jemand an die Tür klopfte. Julie streckte den Kopf herein, und ihrem Blick war zu entnehmen, dass sie die Spannung im Raum deutlich spürte.
„Verzeihung, ich will nicht stören, aber die Patientin in Bett drei macht Terror. Sie droht, sich selbst zu entlassen, wenn sie nicht sofort auf eine Station verlegt wird.“
„Ich rede mit ihr“, sagte Gina schnell und warf Marco einen Blick zu. „Ist das alles, Dr. Andretti?“
„Im Moment ja.“ Er kam um den Schreibtisch herum und blieb kurz neben ihr stehen. „Wir unterhalten uns später weiter.“ Damit stürmte er, ohne sich noch einmal umzudrehen, aus dem Büro.
„Was um alles in der Welt ist denn hier los?“, wunderte sich Julie, die die Szene mit offenem Mund verfolgt hatte. „Wie hast du es angestellt, unseren italienischen Adonis in so kurzer Zeit so wütend zu machen?“
„Frag lieber nicht“, erwiderte Gina grimmig und ging zurück auf die Station. Es gelang ihr, die Patientin zu beruhigen, doch sie merkte, dass sie nicht ganz bei der Sache war. Wenn sie und Marco diese Diskussion weiterführen wollten, dann musste es außerhalb ihrer Arbeitszeit geschehen – und auf neutralem Boden.
Marco ärgerte sich maßlos, dass er sich so hatte gehen lassen. Andererseits war das ja wohl kein Wunder. Schließlich hatte er sich nicht nur plötzlich daran erinnert, was Gina ihm bedeutet hatte, er hatte auch herausgefunden, dass er Vater geworden war!
Er musste sich erst einmal beruhigen und über alles nachdenken, bevor er etwas unternahm. Aber Ginas Behauptung, dass ihr Schweigen zu seinem eigenen Besten gewesen sein sollte, ärgerte ihn maßlos. Gina musste ihn wirklich hassen, wenn sie ihm nicht sagte, dass er eine Tochter hatte.
Der Gedanke machte ihn traurig. Er erinnerte sich daran, dass Gina damals ernsthaft in ihn verliebt gewesen war. Mit dem Beenden ihrer Affäre hatte er offenbar ihre Gefühle für ihn zerstört. Zum Glück gab es an diesem Nachmittag für ihn alle Hände voll zu tun, sodass er nicht ständig an Gina und seine Tochter denken konnte. Gegen fünf Uhr entschied er, in die Verwaltung zu gehen, um seine ID-Karte und die übrigen Papiere abzuholen. Er stand gerade vor dem Lift, als er seinen Namen hörte. Gina eilte den Flur entlang auf ihn zu.
Sie kam gleich auf den Punkt. „Wir müssen reden, Marco. Am besten noch heute Abend.“
„Keine schlechte Idee“, meinte er. „Und wo?“ Er sah ihr ihre Nervosität an und hätte ihr am liebsten beruhigend übers Haar gestrichen. Aber das wäre ein Fehler gewesen. Er musste jetzt einen kühlen Kopf bewahren.
„Was hältst du davon, wenn wir uns irgendwo in der Stadtmitte treffen?“
„Wie wäre es in meinem Apartment? Es liegt zentral, und zur nächsten U-Bahn sind es nur fünf Minuten.“
„Ich weiß
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