Julia Arztroman Band 62
interessiert hatte. Vielleicht war sie für ihn nur eine willige Bettgenossin gewesen und mehr nicht.
Marco beendete das Gespräch mit der jungen Assistenzärztin der Notaufnahme, nachdem er sie bei einer Diagnose beraten hatte, und verabschiedete sich. Der Gedanke an Gina und ihre Tochter ließ ihm keine Ruhe.
War er Lilys Vater? Hatte er in dieser kurzen Beziehung ein Kind gezeugt? War geschehen, was er nach Francescas Tod nie mehr für möglich gehalten hatte? Er musste die Wahrheit erfahren, und zwar sofort. Er wollte sich keinen Hoffnungen hingeben, die sich vielleicht nicht erfüllten. Diese Enttäuschung würde er nicht ertragen. Doch selbst wenn sich herausstellte, dass er tatsächlich Lilys Vater war, wäre das noch kein Grund zum Jubeln. Er hätte viele Hürden zu überwinden … und die größte davon war Gina. Die Tatsache, dass sie ihm nichts von Lily erzählt hatte, war ein deutlicher Hinweis darauf, wie sie zu ihm stand.
Beim Betreten der Station runzelte Marco unwillkürlich die Stirn. Er entdeckte Gina am Bett eines Patienten, und als sie sich zu ihm umdrehte, sah er wieder diese Angst in ihren Augen. Es ärgerte ihn. Fürchtete sie etwa, er würde ihre Tochter kidnappen und mit ihr auf Nimmerwiedersehen verschwinden?
„Ich möchte kurz mit Ihnen sprechen, Schwester, wenn Sie hier fertig sind“, sagte er leise und nickte dem jungen Mann im Krankenbett freundlich zu.
„Das kann noch eine Weile dauern, Dr. Andretti.“
„Kein Problem. Ich warte im Büro auf Sie. Ich muss ohnehin noch ein paar Telefonate führen.“ Er wandte sich ab, ehe sie noch andere Ausreden anbringen konnte.
Gina ließ sich Zeit und erledigte jede Menge unwichtige Dinge, bis es wirklich nichts mehr zu tun gab. Dann erst machte sie sich bangen Herzens auf den Weg ins Büro. Sie wusste, was Marco sie fragen wollte – und sie wusste auch, was sie antworten würde, aber das machte es nicht leichter. Sobald sie ihm die Wahrheit gesagt hatte, gab es kein Zurück mehr.
Entschlossen zog sie die Tür auf. Marco telefonierte, hob aber den Kopf, als sie eintrat. Für einen kurzen Moment trafen sich ihre Blicke, und die Besorgnis, die sie in seinen Augen sah, traf sie wie ein Schock. Fürchtete er sich vor dem, was sie sagen würde? Warum? Weil er wusste, dass Lily seine Tochter war, und weil ihm die Vorstellung, ein Kind zu haben, missfiel? Oder war es die Vorstellung, ein Kind mit ihr zu haben?
Der Gedanke schmerzte sie so sehr, dass sie zusammenzuckte, was Marco nicht verborgen blieb. Er beendete sein Telefonat, und als er dann zu sprechen begann, klang seine Stimme eisig.
„Es ist sinnlos, das Ganze noch weiter in die Länge zu ziehen. Du weißt, wie meine Frage lautet. Also, bin ich der Vater deines Kindes?“
„Ja“, krächzte Gina und räusperte sich. „Ja, du bist Lilys Vater.“
„Lily.“ Er wiederholte den Namen. „Warum hast du dich für Lily entschieden?“
„Weil mir der Name gefällt und er zu ihr zu passen schien“, erklärte Gina. „Sie war so winzig und so wunderschön, als sie auf die Welt kam, wie eine kleine Blume.“
„Verstehe.“ Marco ging ans Fenster und blieb mit dem Rücken zu ihr stehen. „Lily ist ein hübscher Name.“
„Ich … ich bin froh, dass er dir gefällt.“ Gina wusste, dass diese Antwort lächerlich klang. Was würde es ändern, wenn ihm der Name nicht gefallen würde? Und dennoch fühlte es sich gut an, zu wissen, dass sie etwas getan hatte, was er für richtig hielt.
„Ja, er gefällt mir wirklich. Hätte ich die Wahl gehabt, hätte ich sie vielleicht selbst so genannt. Aber die hatte ich ja nie!“ Er drehte sich wieder zu ihr um, und Wut funkelte in seinen Augen. „Weil du entschieden hast, dass ich kein Recht habe, bei der Namensgebung unserer Tochter oder bei irgendetwas anderem mitzuwirken.“
„Ich habe getan, was ich für das Beste hielt“, erwiderte sie leise, erschrocken über die Schärfe seines Vorwurfs.
„Und du glaubst, das war in Ordnung?“, versetzte er schneidend. „Du hast mir verschwiegen, dass du von mir schwanger bist, weil du es für das Beste hieltest?“
„Ich habe versucht, es dir zu sagen! Ich habe versucht, dich anzurufen, ich habe dir sogar einen Brief geschrieben.“
„Ach, wirklich?“
„Ja.“ Sie starrte ihn wütend an. „Als ich dich nicht erreichen konnte und der Brief zurückkam, habe ich angenommen, dass du kein Interesse mehr an mir hast.“
„Ist es dir denn nie in den Sinn gekommen, dass mich deine Anrufe oder
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