Julia Arztroman Band 62
ich dafür Zeit finden würde. Später am Tag hätte ich wahrscheinlich ablehnen müssen, aber es betrifft nur die erste halbe Stunde am Vormittag, und solange hält Hugo allein die Stellung. Und falls ich doch länger aufgehalten werden sollte, kommst du ja auch um halb zehn dazu.“
„Ja, klar.“ Nathan entging es keineswegs, dass sie sich ihm gegenüber noch immer sehr reserviert verhielt.
Nach dem Essen räumten sie gemeinsam die Küche auf, danach sagte er: „Könntest du mal nach Toby schauen, während ich die Leiter hole? Manchmal wacht er weinend auf und ruft nach seiner Mutter.“
„Und was machst du dann?“, meinte sie mitfühlend.
„Ich halte ihn ganz fest, bis der Moment vorbei ist und er wieder einschläft. Am Anfang gab es natürlich viele solche Momente, aber sie werden allmählich seltener, und seit wir in Swallowbrook angekommen sind, ist es noch kein einziges Mal passiert.“
„Hast du es jemals bereut, eine so große Verantwortung zu übernehmen?“, fragte Libby vorsichtig.
„Nein, gar nicht“, erwiderte Nathan. „Falls ich jemals eigene Kinder haben sollte, wird er für mich genauso sein wie sie. An meiner Liebe zu ihm wird sich nichts ändern. Er hat meinem Leben einen Sinn gegeben.“
Nathan konnte so viel Liebe schenken. Eines Tages wird eine Frau das große Glück haben, sein Herz zu erobern, dachte Libby traurig.
„Dann lass uns mal mit dem Pflücken anfangen“, sagte sie schnell. „Hinterm Haus ist eine Sicherheitslampe. Mit der können wir auch im Dunkeln sehen.“
Er nickte. „Ich steige auf die Leiter und werfe dir die Früchte runter. Soll ich alle abernten oder nur so viele, wie Toby für die Schule braucht?“
„Alle, wenn’s dir nichts ausmacht. Für die Äpfel habe ich einen großen Korb, und die Pflaumen kommen in einen breiten Tontopf.“
Trotz ihrer Befangenheit in seiner Nähe machte Libby die Sache Spaß, und sie kamen gut vorwärts.
Auf einmal läutete jedoch das Telefon bei Nathan, und er sprang von der Leiter. „Da muss ich schnell drangehen, damit Toby nicht aufwacht.“ Er eilte zu seinem Haus. „Bin gleich wieder da.“
Libby blieb etwas unschlüssig stehen, entschied sich dann aber, selbst auf die Leiter zu steigen und alleine weiterzupflücken. Völlig vertieft in ihre Tätigkeit sah sie Nathan in dem halbdunklen Garten nicht zurückkommen. Als er etwas zu ihr hochrief, war sie so überrascht, dass sie sich abrupt umdrehte. Dabei riss sie die Leiter mit, die am Baumstamm lehnte, und diese kippte rückwärts um, sodass Libby stürzte.
Erschrocken rechnete sie damit, auf den Steinplatten neben den Bäumen zu landen, doch Nathan war schneller. Er fing sie auf, und sie spürte ihr heftig klopfendes Herz dicht an seiner Brust.
„Oh Mann.“ Kopfschüttelnd sah er sie an. „Warum hast du nicht gewartet, bis ich wieder da war? Aber das ist nicht deine Art, oder?“
Er trug sie ins Haus und ließ sie erst auf dem Sofa im Wohnzimmer behutsam herunter. „Ist alles okay mit dir nach diesem Schreck?“, erkundigte er sich besorgt.
„Ja, mir geht’s gut. Ich bin bloß ein bisschen durcheinander.“ Das stimmte zwar, rührte allerdings eher daher, dass sie sich in seinen Armen wiedergefunden hatte, als von dem Sturz selbst.
Mit zusammengezogenen Brauen meinte Nathan: „Ich muss jetzt leider gehen, Libby. Ich habe Toby schon lange genug alleingelassen. Aber ich muss wissen, ob es dir gut geht. Im Augenblick schläft er noch in meinem Zimmer, ich habe also ein freies Gästezimmer mit einem Klappbett. Willst du mit rüberkommen und heute Nacht bei uns schlafen? Dann wäre ich beruhigt. Ich hab dich zwar aufgefangen, aber die Heftigkeit könnte deinen Körper ziemlich durchgerüttelt haben. Das zeigt sich nicht immer sofort.“
Sie merkte, wie sie rot wurde. Früher hätte sie sich über eine Nacht unter demselben Dach mit ihm sehr gefreut. Aber jetzt nicht mehr. Wenn sie ihm nur noch einmal so nahe kommen würde wie eben, konnte sie nicht garantieren, dass sie ihren Vorsatz, ihm gegenüber auf Abstand zu bleiben, durchhalten würde.
„Danke für das Angebot, aber mit mir ist alles Ordnung“, versicherte sie. „Du musst auf jeden Fall zu Toby zurück. Es wäre schrecklich, wenn er aufwacht, und du bist nicht da.“
„Also gut, ich gehe“, sagte Nathan. „Aber ruf mich an, falls du in der Nacht irgendwelche Probleme haben solltest. Dann kommen wir beide zu dir.“
Rasch wechselte Libby das Thema. „Vergiss nicht, ein paar Früchte für
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