Julia Arztroman Band 62
an ein junges Mädchen im Teenageralter, das sie gestern aufgesucht hatte. Es wollte eine ungewollte Schwangerschaft beenden, die das Ergebnis seines ersten und einzigen ungeschützten Sexualkontakts war.
Wegen der ersten Lieferung an Grippe-Impfstoff war das Wartezimmer voll, und so hatte Libby erst am Abend wieder Zeit, an Nathans überraschende Ankündigung von heute Morgen zu denken. Sie freute sich auf die bevorstehende Party, aber was sollte sie dazu anziehen?
Es war eine Gelegenheit, bei der man nicht allzu formell, aber auch nicht zu leger erscheinen durfte. Deshalb entschied Libby sich für ein schwarzes Kleid mit langen Ärmeln, tief angesetztem Ausschnitt und einem weiten, wadenlangen Rock.
Im Haus nebenan dachte auch Nathan an die Party. Denn immerhin würden Libby und er ausnahmsweise tatsächlich unter einem Dach schlafen.
Am Samstag fuhr Nathan mit Toby zum Hotel, um alles noch einmal zu überprüfen und dann gemeinsam mit seinem Vater die Gäste zu begrüßen.
Hugo und seine Schwester waren die Ersten. Ihre kleinen Mädchen wurden an diesem Abend von einem Babysitter betreut. Danach kamen die Praxis-Krankenschwestern mit ihren jeweiligen Partnern sowie die Empfangskräfte, ebenfalls in Begleitung. Ganz zum Schluss gefolgt von Gordon, einem überzeugten Junggesellen.
Danach trafen Alison, die Putzkraft, und ihr Mann ein, der sich um den Garten der Praxis kümmerte und auch sonst alle notwendigen Instandhaltungsarbeiten erledigte. Sogar der Bote, der jeden Tag die Laborproben abholte, war da. Er kam schon so viele Jahre, dass er als Mitglied der Praxis galt. Die Letzte war Libby, die in ihrem schwarzen Kleid hinreißend aussah. Lächelnd betrachtete sie Nathan und seinen Vater, beide elegant gekleidet in Dinnerjacketts, weißen Hemden und Fliege. Sogar Toby trug ein kurzärmliges Hemd und eine kleine Fliege mit Gummiband.
John schüttelte jedem der Gäste herzlich die Hand, bis Libby erschien.
Er umarmte sie, drückte sie an sich und meinte rau: „Ich vermisse dich, Libby. Wie läuft’s denn so mit Nathan, seit er wieder in der Tretmühle mit dabei ist?“
Der Genannte stand ganz in der Nähe und sah sie mit leicht ironischem Blick an. So als erwartete er, dass sie zugab, ihn nur widerstrebend zu dulden.
Doch da hatte er sich getäuscht. „In der Praxis läuft alles bestens“, sagte Libby zu seinem Vater. „Die Patienten sind begeistert von Nathan, und wir anderen wissen seinen Beitrag zur Gesundheitsversorgung in Swallowbrook sehr zu schätzen.“
„Das freut mich“, erwiderte John. Mit einem Seitenblick auf Toby, der sich neugierig umschaute, setzte er hinzu: „Deine Arbeit und dieser kleine Kerl hier lassen dir sicher wenig Zeit für irgendwas anderes, stimmt’s, Nathan?“
„Kommt drauf an, was es ist.“ Noch immer sah dieser Libby an, und sie wusste nicht recht, was sie von dem Ausdruck in seinen Augen halten sollte.
Als der letzte Gang des Menüs serviert wurde, war Toby bettreif. Immer wieder ließ er schläfrig den blonden Lockenschopf sinken.
Libby, die ihn beobachtete, wandte sich leise an Nathan. „Du kannst deine Gäste jetzt nicht gut alleinlassen. Soll ich Toby zu Bett bringen, wenn er mich lässt?“
„Ich glaube, er hätte nichts dagegen“, entgegnete er. „Toby mag dich, Libby. Und er wäre ständig drüben bei dir, falls ich es zulassen würde.“
„Warum tust du es nicht?“
„Ich bin nicht sicher. Vielleicht weil ich weiß, dass ich bei dir nicht willkommen bin, und das soll nicht auf ihn abfärben.“
Sie war entrüstet, doch ehe sie etwas sagen konnte, fuhr Nathan fort: „Wir bringen ihn am besten gleich hoch, bevor er vom Stuhl fällt.“
Er hob Toby hoch und flüsterte ihm zu: „Heute Abend sagt Libby dir gute Nacht. Ist das okay?“
„Mmm“, murmelte der Kleine.
Oben an der breiten Hoteltreppe ging Nathan den ersten Flur entlang und zeigte auf zwei Zimmer mit Blick auf den See, ehe er Libby die Schlüssel gab. „Das erste ist dein Zimmer, und wir schlafen gleich daneben. Ich lege Toby auf sein Bett und gehe dann wieder runter, falls das für dich so in Ordnung ist.“
„Ja, klar“, antwortete sie leise. „Ich komme erst nach, wenn ich sicher bin, dass er tief und fest schläft.“
Kaum war Nathan gegangen, öffnete Toby die Augen und lächelte schlaftrunken zu ihr auf.
„Du musst deine Sachen ausziehen, bevor du schlafen gehst“, meinte Libby sanft. „Dein Pyjama liegt gleich hier auf dem Bett. Wenn du dich kurz hinsetzt,
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