Julia Arztroman Band 62
weiß, du würdest lieber weniger mit mir zu tun haben. Deshalb kommt deine Einladung auch etwas überraschend. Aber ich bin hier Teil eines Teams, und mir ist durchaus bewusst, dass ich sehr viel weniger zum Praxisbetrieb beitrage als du. Heute werde ich also meine volle Leistung bringen.“
Damit ging er hinaus, um Hausbesuche bei den Patienten in den Bauernhäuschen und in den großen Villen an den von Bäumen gesäumten Straßen rund um das Dorf zu machen.
Kurz darauf folgte ihm auch Hugo, der ebenfalls seinen Anteil an Hausbesuchen zu erledigen hatte. Unterdessen bereitete Libby in ihrer Küche einen Auflauf vor, den sie bei kleiner Flamme in den Backofen stellte.
Danach deckte sie den Tisch mit dem Geschirr und Besteck, das der ganze Stolz ihrer Mutter gewesen war. Bald wurde es dann auch wieder Zeit für die Nachmittagssprechstunde.
Auf dem kurzen Weg zur Praxis sah sie den See, der in der blassen winterlichen Sonne glänzte. Das Haus auf der Insel, das die Sonnenstrahlen reflektierte, erinnerte Libby an ihren Urlaub, den sie demnächst dort verbringen würde. Ein wenig Abstand von der Arbeit und dem Mann, um den ihre Gedanken so oft kreisten, würde ihr sicher gut tun.
Wenn sie ihm nicht mehr jeden Tag begegnete, in der Praxis und als Nachbar, konnte sie vielleicht endlich ihren Seelenfrieden zurückgewinnen, und sei es auch nur für eine Weile. Die Liebe zu ihm gehörte nun mal zu ihrem Leben, obwohl sie sich gerade wegen dieser Liebe meistens unglücklich fühlte.
Am Ende des Tages verließen Nathan und Libby gemeinsam das Praxisgebäude, das einmal ihr Elternhaus gewesen war, und trennten sich vor ihren jeweiligen Hauseingängen. Nathan wollte noch schnell unter die Dusche, und Libby eilte hinein, um zuerst nachzuschauen, ob der Auflauf nicht allzu trocken geworden war.
Nein, alles in Ordnung. Daher eilte sie rasch nach oben, streifte ihre Arbeitskleidung ab und schlüpfte nach dem Duschen in eine hellgraue Hose und ein schwarzes Seidentop. Sie kam gerade die Treppe herunter, als Nathan läutete.
In den Händen hielt er einen großen Strauß mit all ihren Lieblingsblumen. Etwas verwirrt trat Libby zur Seite, um ihn hereinzulassen.
Nathan reichte ihr den Strauß und meinte: „Ich werde mich nicht bei dir bedanken, aber ich weiß nicht, wie ich die letzten beiden Wochen ohne dich überstanden hätte, Libby. Du warst mein Fels in der Brandung bei all dem Schrecken rund um Tobys Krankheit.“
Unwillkürlich schossen ihr die Tränen in die Augen, und sie gab ihm spontan einen Kuss auf die Wange.
Überrascht von ihrer Geste drehte Nathan den Kopf, sodass sich ihre Lippen trafen. Von einem plötzlichen heftigen Verlangen erfasst, presste er Libby eng an sich, und ohne zu überlegen, gab sie sich seinen Küssen hin. Da klingelte es auf einmal an der Tür.
Mit einem Stöhnen löste Nathan sich von ihr. „Erwartest du noch jemanden?“
„Nein. Aber ich schau lieber mal nach, wer es ist.“ Widerstrebend machte Libby auf.
Vor ihr stand John, den sehr schläfrig wirkenden Toby an der Hand. „Tut mir leid, dass ich schon so früh wieder da bin“, sagte er entschuldigend. „Als Nathan mir erzählte, dass er heute Abend bei dir zum Essen ist, wollte ich Toby erst um halb acht zurückbringen, weil er am Nachmittag zwei Stunden geschlafen hat. Aber sein erster Schultag nach dem Krankenhaus hat ihn doch ziemlich mitgenommen, und er muss dringend ins Bett.“
Nathan erschien hinter ihr. „Das ist schon in Ordnung, Dad.“ Er lächelte Libby an. „Wäre es okay für dich, wenn du das Essen zu mir bringst, solange ich Toby zum Schlafengehen fertig mache? Dann hätten wir das Problem gelöst.“
„Ja, natürlich.“ Noch immer im Bann seiner Küsse und dem wunderbaren Gefühl, in seinen Armen zu sein, war Libby etwas schwach zumute.
Diesmal hatte sie sich überhaupt nicht benutzt gefühlt, sondern nur den Moment ausgekostet, der so unvermittelt gekommen war und vielleicht zu etwas noch viel Schönerem hätte führen können.
Aber manche Dinge passierten eben, um einen zum Innehalten und Nachdenken zu veranlassen, bevor man sich überstürzt zu etwas hinreißen ließ.
John verabschiedete sich, und Nathan trug Toby auf dem Arm nach nebenan.
Sobald sich die Haustür hinter ihnen geschlossen hatte, nahm Libby ihren Auflauf aus dem Ofen, stellte ihn auf ein Tablett und ging ebenfalls hinüber. Während Nathan den Jungen schlafen legte, deckte sie den Tisch in seinem Esszimmer.
„Die kleine Schlafmütze
Weitere Kostenlose Bücher