Julia Bestseller Band 144
spürte, dass es da war und auf sie wartete, nur im Zaum gehalten durch den Willen eines Mannes, der sich davor schützen wollte, verletzt zu werden.
Ja, dachte Beth, manche Narben sitzen tief. Aber wenn es ihr gelänge, seinen Schutzschild zu durchbrechen, wenn Jim sich entschlösse, sich ihr ganz zu öffnen, dann bestand die Chance, etwas von dem zurückzugewinnen, was sie schon verloren geglaubt hatten. Vertrauen beruhte auf Gegenseitigkeit.
„Langweile ich dich?“, fragte er schließlich.
„Nein, ganz im Gegenteil. Es ist faszinierend, Jim. Verzeih, wenn ich den Eindruck erweckt …“
„Nun, das ist immerhin ein Fortschritt“, unterbrach er sie lächelnd.
„Pardon?“ Wenn er so jungenhaft lächelte, war er geradezu unwiderstehlich attraktiv.
„‚Jim‘ klingt schon viel freundlicher als das abwertende ‚Jim Neilson‘, das du bislang benutzt hast.“
„Oh!“ Sie errötete schuldbewusst. „Ich mochte dich nicht“, gestand sie ehrlich.
„Ich weiß, aber ich hoffe, dass sich deine Meinung von mir bei näherer Bekanntschaft bessert“, antwortete er trocken.
Beth lachte, froh, dass er bereit war, ihre Feindseligkeit so humorvoll abzutun.
Jim lehnte sich zurück und betrachtete sie glücklich. „Der Moskauer Staatszirkus kommt bald nach Sydney. Hättest du Lust, mit mir in eine Vorstellung zu gehen?“
„Und die Trapezkünstler und Hochseilartisten zu sehen?“ Davon hatten sie als Kinder immer geschwärmt.
Jim knüpfte sofort an diese Erinnerungen an. „Nun, sie können zwar unmöglich so gut sein wie wir, wenn wir damals an Seilen von Baum zu Baum schwangen oder auf den Zäunen balancierten, aber wir könnten sie uns ja mal anschauen.“
„Das würde mir wirklich Spaß machen“, bekräftigte Beth.
Es war lange her, seit sie unbeschwerten Spaß gehabt hatte. Sie hoffte, es würde möglich sein, wieder ein völlig entspanntes, gelöstes Verhältnis zu Jim zu finden.
Der Kaffee wurde zusammen mit einer Platte Biscotti und einem Glas Vin Santo serviert, einem feinen italienischen Dessertwein, in den man das Gebäck tunkte, wie der Kellner erklärte. Der exquisite Abschluss eines wundervollen Mahls, dachte Beth anerkennend.
„Was meinst du, wie lange es dauern wird, bis wir auf die Farm ziehen können?“, knüpfte sie noch einmal an den ursprünglichen Anlass dieses Essens an.
„Hast du ein Faxgerät?“
„Ja.“
„Ich werde meinen Anwalt gleich morgen beauftragen, den Partnerschaftsvertrag aufzusetzen. Wenn alles glattläuft, sollte er die Sache eigentlich in einer Woche geregelt haben.“
Beth machte große Augen. In nur einer Woche! Ihr erster Gedanke war, dass Jim ihr keine Zeit lassen wollte, sich die Sache noch einmal zu überlegen. Vertraute er ihr nicht?
Doch dann begriff sie, dass dies einfach typisch für ihn war: schnelle Entscheidungen zu treffen und sie ebenso schnell in die Tat umzusetzen. Aber sie war nicht an sein Tempo gebunden. Beth dachte an die Art, wie sie arbeitete. Wenn sie an einem neuen Buch schrieb, vergaß sie oft alles andere darüber, die Mahlzeiten und die Hausarbeit, sodass auch schon mal die Wäsche in der Waschmaschine blieb, anstatt in den Trockner geräumt zu werden. Würde Jim die Eigentümlichkeiten eines kreativen Prozesses verstehen und bereit sein, Zugeständnisse zu machen?
„Ich dachte, es dauert bei einem Immobilienkauf gewöhnlich sechs Wochen und mehr, bis der nötige Papierkram abgewickelt ist“, sagte sie zögernd und überlegte dabei, was alles allein für ihren Umzug und den ihres Vaters aus Melbourne zu regeln sein würde.
„Mein Anwalt wird gut dafür bezahlt, dass er sehr tüchtig ist.“
Beth entnahm seinen Worten, dass Jim Neilson keine Unfähigkeit duldete. Vermutlich konnte er sich das in seinem Geschäft auch nicht leisten. Er erwartete sofortiges Handeln, sofortige Information, sofortige Antworten. Unwillkürlich fragte sich Beth, wie fordernd er wohl in seinem Privatleben sein würde. Welche Erwartungen richtete er an sie?
„Geht es dir zu schnell, in einer Woche schon umzuziehen, Beth?“, fragte er. Als wollte er ihr auf keinen Fall das Gefühl geben, sie zu drängen, fügte er rasch hinzu: „Nimm dir so viel Zeit, wie du brauchst.“
Es war schon ein aufregendes Unterfangen, sein altes Leben abzuschließen und ein neues zu beginnen. Was würde sie zurücklassen? Das Grab ihrer Mutter und das von Kevin waren in Melbourne. Aber die Seelen der beiden waren woanders, an einem besseren Ort, wie Beth sich
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