Julia Bestseller Band 144
Vielleicht war es wieder nur ein Trick, um sie seiner Verführung zugänglich zu machen. Sie maß ihn mit durchdringendem Blick, versuchte zu ergründen, was wirklich in ihm vorging.
Jim seufzte. „Du musst mich für einen Menschen halten, der nur nimmt. Als ich ein Junge war, habe ich gewiss alles von dir genommen, was ich nur bekommen konnte. Und vergangenes Wochenende nahm ich sogar noch mehr von dir und rechtfertigte es mit einer Menge falscher Vermutungen.“ Sein Blick flehte um Verzeihung. „Als dein Vater mir heute Nachmittag aufzeigte, wie dein Leben wirklich verlaufen war, passte das alles so gut zu der Beth, die du für mich gewesen warst, dass ich mich schämte, je etwas anderes von dir gedacht zu haben.“
Ich habe meinen Teil dazu beigetragen, indem ich bei ihm einen falschen Eindruck erweckte, dachte Beth schuldbewusst. Immerhin hatte sie sich von ihm, dem vermeintlich Fremden, anmachen und bereitwillig ins Bett locken lassen.
Es blieb die quälende Frage, wie viel von Jim Neilson immer noch dem Jamie entsprach, der er einmal für sie gewesen war. Sein Stolz, dachte sie sofort. Die Weigerung, seinen Schmerz zu zeigen. Die Entschlossenheit, sich darüber zu erheben. Er hatte die Schläge seines Großvaters stets mit einem Schulterzucken abgetan und Ausreden für seine blauen Flecke gefunden, aber sie hatte es gewusst. Hatte gewusst, dass er jedes Mal dafür leiden musste, wenn er sich mit ihr davonschlich.
„Mit ist jetzt klar, dass du es viel schwerer hattest als ich“, sagte er leise.
„Nein“, widersprach sie rasch. Sie hatte die furchtbare Einsamkeit, die aus dem Gemälde sprach, das in seinem Penthouse hing, nicht vergessen. Genauso das von Brett Whitely, der Schrei der Seele. „Ich war immer von der Liebe meiner Familie umgeben.“
Ein klägliches Lächeln huschte über sein Gesicht. „Was viel mehr wert ist als aller materieller Besitz.“
Jamie war immer gern in ihrer Familie gewesen. Zehrte er noch von der Wärme, die er dort erfahren hatte? „Du hast Erstaunliches geschafft, hast alles erreicht, was du wolltest“, gab sie zu bedenken. „Du hast allen Grund, stolz auf deine Erfolge zu sein und Befriedigung daraus zu ziehen.“
„Ich will nicht leugnen, dass es so ist. Ja, ich freue mich über den Lohn für meinen Einsatz, aber …“
Er beugte sich vor, nahm ihre Hand und drückte sie sacht. Ihr Herz pochte. Sie schaute Jim an und fühlte sich ihm gegenüber verletzlicher denn je.
„Erlaube mir zu geben, Beth“, bat er beschwörend. „Ich möchte deinem Vater die Farm zurückgeben. Ich möchte dir alles geben, was du dir wünschst … was dich glücklich macht.“ Er lächelte unvermittelt. „Erinnerst du dich noch, wie sehr wir uns damals wünschten, einmal in einen Zirkus zu gehen? Ich habe es immer noch nicht geschafft, und du?“
Sie lachte nervös.
„Ich weiß, das sind Kleinigkeiten“, fuhr Jim ernsthaft fort. „Ich weiß, es gibt Dinge, die ich nicht wiedergutmachen kann. Die niemand wiedergutmachen kann.“ Er streichelte zärtlich ihre Hand. „Wie die Geschichte mit Kevin. Es tut mir so leid, dass er sterben musste, Beth. Es muss furchtbar für dich gewesen sein, ihn so zu verlieren, nachdem du ihn wie dein eigenes Kind aufgezogen hattest.“
Beth blinzelte gegen Tränen an. „Ich hatte ihm das Fahrrad zu Weihnachten geschenkt“, flüsterte sie. „Ich dachte, mit zehn sei er groß genug, um es sicher zu beherrschen.“
„Dich trifft keine Schuld. Es war ein Unfall.“
„Ich weiß. Dad gibt der Stadt die Schuld. Verzeih …“
Sie zog ihre Hand zurück und suchte in ihrer Handtasche nach einem Taschentuch. Es war einfach zu viel, was an diesem Abend auf sie einstürmte. Sie musste sich unbedingt zusammenreißen.
Zu ihrer Erleichterung machte Jim keinen neuerlichen Versuch, ihre Hand zu ergreifen. Seine Wirkung auf sie war in keiner Weise abgeschwächt. Im Gegenteil, die Verbindung zu Jamie hatte sie eher noch verstärkt. Beth zitterte innerlich. Wie sollte sie diesen Abend überstehen?
Glücklicherweise wurde ihr eine Atempause geschenkt, denn der Ober servierte nun den Hauptgang. Mit bewundernswerter Geschicklichkeit filetierte er den Barramunda am Tisch, für Beth eine willkommene Ablenkung. Zumindest für eine kurze Zeit konnte sie sich auf etwas anderes konzentrieren als auf Jim Neilson.
Nachdem sich der Ober zurückgezogen hatte, begannen sie schweigend zu essen. Beth entspannte sich allmählich und genoss den köstlich knusprigen
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