Julia Bestseller Band 144
Er hatte einen so scharfen Verstand, dass es beinah unmöglich war, ihn zu täuschen.
Als die Tür aufgestoßen wurde, bekam Amy Herzklopfen vor Nervosität. Betont interessiert sah sie zu, wie die Briefe ausgedruckt wurden, und versuchte, sich gegen das beeindruckende Charisma ihres Chefs zu wappnen. Sie wollte sich auch nicht die kleinste Schwäche erlauben.
Stattdessen musste sie den großen, muskulösen Mann mit der gebräunten Haut, der so viel Kraft und Macht ausstrahlte, völlig gleichgültig behandeln. Er war ungemein charmant, und wenn er lächelte, wirkten seine Lippen noch sinnlicher. Seine bernsteinfarbenen Augen strahlten, wenn er verführerisch zwinkerte. Und das dichte dunkle, leicht gewellte Haar mit den silbergrauen Strähnen verlieh ihm eine Reife, die Vertrauen weckte und die man ihm vielleicht sonst mit seinen vierunddreißig Jahren noch nicht zugetraut hätte.
Amy vermutete, dass er in zehn oder zwanzig Jahren nicht viel anders aussehen und immer noch die Herzen der Frauen schneller schlagen lassen würde. Schließlich hob sie den Kopf – und traute ihren Augen nicht.
Jake brachte ein Baby mit ins Büro!
Plötzlich fielen ihr wieder Steves Worte ein. Er hatte sie um Verständnis gebeten, von Verantwortung gegenüber dem Kind gesprochen, das ein Recht auf seinen Vater habe …
Aber Jake in dieser Rolle? Amy verstand überhaupt nichts mehr.
„Steht mir die Vaterrolle nicht gut?“, ertönte seine tiefe, sexy klingende Stimme. Er lachte, als er ihre verblüffte Miene bemerkte, und stellte die Babytrage auf den Schreibtisch. „Ein knuddeliger kleiner Kerl, stimmt’s?“
Amy stand auf und betrachtete das schlafende Kind, das in eine Wolldecke mit lustigen Motiven gewickelt war und von dem man nur das kleine Gesicht und ein winziges Händchen sehen konnte.
„Ist es … Ihr Kind?“ Sie konnte es nicht glauben.
„Mehr oder weniger“, antwortete er lächelnd, und in seinen Augen blitzte es belustigt auf.
„Gratuliere!“ Empört zog sie die Augenbrauen hoch. „Ist die Mutter des Babys etwa mit Ihrer Mehr-oder-Weniger-Vaterrolle einverstanden?“
„Oh!“ Er drohte scherzhaft mit dem Finger. „Sie haben aber eine schlechte Meinung von mir, Amy! Das habe ich nicht verdient.“
„Es tut mir leid. Ihr Privatleben geht mich natürlich nichts an“, erklärte sie betont gleichgültig.
„Joshuas Mutter vertraut mir grenzenlos“, stellte er hochtrabend fest.
„Schön für Sie.“
„Sie weiß, dass sie sich im Notfall auf mich verlassen kann.“
„Natürlich, Sie sind ja jeder Lage gewachsen“, erwiderte sie ironisch.
Jake lachte. „Sie haben sich offenbar von Ihrem Schock erholt. Aber erst waren Sie wirklich sprachlos“, sagte er triumphierend.
„Möchten Sie mich öfter sprachlos sehen?“
„Dann würde es keinen Spaß mehr machen.“ Ihm sah der Schalk aus den Augen.
Als Amy beharrlich schwieg, seufzte er. „Jetzt enttäuschen Sie mich.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich brauche Herausforderungen, Amy. Okay, ich verrate es Ihnen. Joshuas Mutter ist meine Schwester Ruth“, gab er schließlich zu. „Heute Morgen ist bei ihr alles schiefgegangen. Sie musste meinen Schwager ins Krankenhaus bringen, weil er sich die Schulter ausgerenkt hatte. Deshalb muss ich jetzt meinen Neffen betreuen. Sobald sie kann, holt sie den Kleinen hier wieder ab.“
„Dann sind Sie der Onkel des Babys.“
„Und sein Patenonkel.“ Wieder lächelte er belustigt. „Sie sehen einen zuverlässigen und soliden Familienmenschen vor sich.“
Ja, solange es nicht seine eigene Familie ist, dachte Amy ironisch.
„Ich überlasse Ihnen den Kleinen.“ Er hob die Babytrage vom Schreibtisch und stellte sie auf den Boden neben den Aktenschrank. „Joshua ist ein ausgesprochen friedliches Kind. Im Auto ist er sogleich eingeschlafen und hat sich seitdem nicht mehr gemeldet.“
Er lässt das Kind bei mir! dachte Amy und betrachtete den Kleinen, der für seine Eltern ein Band ihrer Liebe bedeutete. Wegen eines Babys hatte Steve sie verlassen, trotz der vielen gemeinsamen Jahre, wie ihr plötzlich wieder schmerzlich bewusst wurde. Von seiner Untreue hatte sie nichts geahnt. Das Baby, das er mit der Blondine bekommen würde, hatte die fünfjährige Beziehung beendet.
Amy konnte ihn sogar verstehen. So ein unschuldiges Wesen verdiente es, in der Obhut beider Eltern aufzuwachsen. Dennoch taten Steves Verrat und Untreue viel zu weh.
„Ist das die Post von heute?“, fragte Jake.
Sie schreckte aus den
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