Julia Bestseller Band 145
er, obwohl er wusste, dass Grace ihn nicht hörte. Sie fest an sich pressend, watete er bis zu dem riesigen Loch im Rumpf des Flugzeugs herüber. Im ersterbenden Flammenschein des Feuers erkannte er gerade noch einen Streifen des Nachthimmels. Alles andere war tobendes schwarzes Meerwasser.
Es galt, keine Zeit zu verschwenden. Noch ein paar Sekunden, und das eindringende Wasser würde das Wrack in die Tiefe reißen.
Salim schleuderte seine Schuhe fort, drückte Graces Gesicht gegen seine Schulter, verstärkte den Griff um sie und kämpfte sich in die Nacht hinaus. Er bekam Salzwasser in den Mund, hustete und spuckte es mühsam wieder aus. Der Ozean war beinahe wie ein Lebewesen, das ihn zu überwältigen und ihm Grace zu entreißen drohte.
Er hielt sie noch fester. Mit nur einem Arm glitt er durch die Wellen, die sich turmhoch vor ihm aufzubauen schienen.
Sie mussten sich so schnell wie möglich von dem Wrack entfernen, ehe sie von dem Strudel mit in die Tiefe gerissen wurden.
Er schwamm mit einem Arm, Grace fest umklammert. Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor. Das Flackern der Flammen lag jetzt hinter ihnen, doch er drehte sich nicht um, verharrte nicht. Er erschauerte und wisperte ein schnelles Gebet für die verlorenen Seelen seiner Crew.
Und schwamm immer weiter.
Irgendwann spürte er, wie sich tiefe Erschöpfung in ihm ausbreitete. Jeder Muskel schmerzte. Grace rührte sich nicht, und er konnte immer noch nicht nachschauen, ob sie verletzt war. Wie leicht wäre es, einfach aufzugeben. Er könnte die Umarmung des Pazifiks wie die einer Geliebten annehmen, die ihm Ruhe und Frieden brachte.
„Nein!“ Salim schrie das Wort in die Dunkelheit und gegen das Tosen der Wellen hinaus. „Nein“, wiederholte er energisch und hauchte einen Kuss auf Graces kühle Wange.
Er würde nicht aufgeben. Er war ein Kämpfer, war es schon immer gewesen. Vielleicht stimmte es tatsächlich, dass ein Mensch in den letzten Minuten alle Stationen seines Lebens an sich vorbeiziehen sah.
Jedenfalls sah er den kleinen Jungen vor sich, der er einst gewesen war, zum Scheich geboren und dennoch besiegt vom blutigen Bürgerkrieg – ein Junge, der in der Kargheit der Wüste aufgewachsen war. Er kannte das Gefühl eines leeren Magens ganz genau, wusste, was es hieß, quälenden Durst zu leiden und die eiskalten Nächte der Wüste ertragen zu müssen. Als die Feinde seines Vaters versuchten, ihn umzubringen, musste er buchstäblich um sein Leben kämpfen.
Und er hatte überlebt.
Die Wellen waren hoch, der Wind heftig. Der Sturm, der sich kurz gelegt hatte, kehrte mit aller Macht zurück. Regen prasselte auf sie nieder, Blitze erhellten den Himmel.
Und in dem gleißenden Licht sah er …
Etwas. Etwas, das auf sie zutrieb.
Sein Herz begann zu rasen. Ein Hai? Er kannte sich mit diesem Teil des Pazifiks ein wenig aus – einige Jahre lang hatte er eine Jacht besessen und war in den unterschiedlichsten Gewässern gesegelt. Hier gab es mehr Raubfische, als ihm lieb sein konnte.
Das „Etwas“ kam näher. Der Himmel wurde erneut von einem Blitz erhellt, und da erkannte Salim, dass es sich um ein großes Lederpolster von einem der Sitze des Flugzeugs handelte. Er paddelte darauf zu, griff danach, verfehlte es, versuchte es erneut und erwischte den Rand des Polsters mit den Fingerspitzen.
Er lachte.
Ein Mann, der inmitten eines riesigen Ozeans dahintrieb und lachte. Vielleicht war er auf bestem Wege, den Verstand zu verlieren.
Oder vielleicht hatte er gerade ihre Rettung entdeckt.
„Hab dich“, feixte er und zog das Polster zu sich heran.
Vor Anstrengung keuchend, da seine Muskeln so schmerzten, hievte er Graces Oberkörper darauf. Vermutlich war er zu grob, denn sie stöhnte. Trotz seiner Erschöpfung, seiner Angst beugte er sich über sie, umfasste ihr Gesicht und küsste sie.
„Ich werde dich nicht sterben lassen, habiba “, schwor er fest entschlossen.
Das Polster verfügte über Gurte, die den Passagier im Notfall zusätzlich sichern sollten. Es dauerte lange, quälende Minuten, bis Salim es geschafft hatte, Graces Arme hindurchzuziehen. Danach löste er seinen Gürtel aus den Schlaufen, zog ihn durch einen der Gurte, band ihre ebenso wie seine Arme damit fest und verknotete dann den Gürtel, sodass sie nicht mehr herunterrutschen konnten.
Vollkommen erschöpft schob er sich auf das Polster neben sie.
Das Feuer war erloschen. Der Wind hatte sich gelegt. Es regnete nicht mehr. Sie konnten nichts anderes tun, als sich an
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