JULIA COLLECTION Band 10
heißt …“
„Haben Sie schon gewählt?“, wurde Renée in diesem Augenblick von der Bedienung unterbrochen.
„Ich fürchte, nicht“, antwortete sie, und auch Charmaine schüttelte den Kopf.
Als die Frau zum Nachbartisch ging, widmeten sich die beiden erst einmal der Karte.
„Weißt du schon, welches Geschlecht die Babys haben werden?“, fragte Charmaine, nachdem sie gewählt hatte.
Renée strahlte wie immer, wenn das Gespräch auf ihren zukünftigen Nachwuchs kam. „Ja, ein Junge und ein Mädchen. Bin ich nicht zu beneiden?“
„Wenn das mit der Schwangerschaft so ist, wie meine Mutter behauptet, unbedingt.“
Renée war erstaunt, dass Charmaine ihre Familie erwähnte. Normalerweise schwieg sie sich darüber aus, besonders nach dem Tod ihrer Schwester. Aus Zeitungsartikeln wusste Renée, dass Charmaines Eltern westlich der Great Divide – also irgendwo im Nirgendwo – eine große Baumwollfarm führten. Das nächstgelegene Städtchen besaß lediglich eine Autowerkstatt, ein Hotel und einen Kramladen. Mit fünfzehn hatte Charmaine begonnen, dort auszuhelfen, und wenn gerade niemand einkaufen kam – was wahrscheinlich meistens der Fall gewesen war –, las sie Frauenzeitschriften und träumte davon, eines Tages selbst Model zu sein. Mit fünfzehneinhalb bewarb sie sich dann auch bei einer Modegazette, für die ein neues Gesicht für das Titelbild gesucht wurde, und gewann. Mit sechzehn machte sie zum ersten Mal bei einer Profi-Modenschau mit, anlässlich Australiens „Fashion Week“.
Renée hatte früher selbst gemodelt und erinnerte sich noch gut, wie entrüstet die Kolleginnen gewesen waren, als ihnen dieser unerfahrene, kurvenreiche Teenager die Schau stahl. Doch an Charmaine sahen alle Entwürfe einfach supersexy aus. Und als sie für eine Weile wieder nach Hause zurückkehren musste, weil sie Drüsenfieber bekommen hatte, atmeten die anderen erleichtert auf. Aber im darauffolgenden Jahr kehrte sie zurück und schloss nahtlos an ihre Erfolge an.
Da war sie achtzehn und ein wenig schlanker, sah aber reifer und schlichtweg umwerfend aus. Die Journalisten der Modepresse nannten sie „hinreißend“ und „mit Potenzial für die Zukunft“, was sich bewahrheitet hatte, wie Renée aus eigener Erfahrung wusste. Inzwischen erhielt sie einen kleinen Prozentsatz von Charmaines enormen Honoraren – immer noch ein hübsches Sümmchen.
„Ähnelst du eher deiner Mutter oder deinem Vater?“, fragte Renée nun.
„Beiden, was das Aussehen betrifft. Aber von ihren Charaktereigenschaften habe ich keine geerbt. Meine Mutter ist eine ganz Liebe und mein Vater ein Softie. Vielleicht verhalte ich mich manchmal auch so, aber in Wirklichkeit bin ich ein echtes Miststück“, fügte sie lachend hinzu. „Doch das weißt du ja, oder nicht?“
„Aber woher denn?“, erwiderte Renée erstaunt. „Im Geschäftsleben magst du knallhart sein, das heißt allerdings nicht, dass du ein schlechter Mensch bist. Dann würdest du dich zum Beispiel nicht so für karitative Zwecke einsetzen.“
„Krebskranke Kinder tun mir einfach leid“, sagte Charmaine und wirkte einen Moment sehr nachdenklich. „Ich kann es ertragen, wenn das Leben hart zu Erwachsenen ist, die vorher Raubbau mit ihrer Gesundheit getrieben haben, aber Kinder haben diese furchtbare Krankheit nicht verdient.“ Sie schluckte und biss die Zähne zusammen.
Du weinst jetzt nicht. Damit erreicht man gar nichts. Nur Babys weinen oder Leute mit Liebeskummer. Und du bist wohl kaum noch ein Baby, und dein Herz ist auch nicht mehr gebrochen, Charmaine. Es ist wieder verheilt, und zwar so gut, dass es nie wieder brechen wird.
Sie griff zu ihrem Wasserglas und nippte daran, bis sie sich wieder unter Kontrolle hatte. Dann stellte sie es hin und lächelte Renée zu, die sie besorgt beobachtete. „Tut mir leid, wenn ich von krebskranken Kindern spreche, werde ich immer sentimental.“
„Das braucht dir nicht leidzutun. Ich kann dich gut verstehen.“
Als Charmaine das hörte, hätte sie beinah ein Gesicht geschnitten. Wie wollte Renée sie denn verstehen? Das konnte keiner, der nicht dasselbe durchgemacht hatte wie sie: mitansehen zu müssen, wie ein Kind litt und dann doch starb – ein süßes, unschuldiges Wesen.
Aber Renée meinte es wahrscheinlich nur gut. Wie alt ist sie eigentlich?, überlegte Charmaine dann. Anfang dreißig? Älter? Wahrscheinlich ein bisschen, obwohl sie immer noch hervorragend aussah. Manche Frauen blühten in der Schwangerschaft
Weitere Kostenlose Bücher