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JULIA COLLECTION Band 10

JULIA COLLECTION Band 10

Titel: JULIA COLLECTION Band 10 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: MIRANDA LEE
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tun haben. Erst nach dem tödlichen Unfall, als er den Schreibtisch seines Vaters durchsuchte, fand er das Tagebuch seiner Mutter. Darin schilderte sie ausführlich die Gründe ihrer wachsenden Depression. Anscheinend hatte sein Vater mit Mitte vierzig begonnen, junge Mädchen mit nach Hause zu nehmen und auch über Nacht dazubehalten, während seine Frau ins Gästezimmer verbannt wurde. Schwach und wehrlos, wie sie war, ließ sie es geschehen.
    Dass sein Vater nicht nur faul und unfähig, sondern auch grausam und unmoralisch gewesen war, war für Charles wie ein Schock, genauso wie die Begründung, warum seine Mutter keine weiteren Kinder bekommen hatte. Nach der Hochzeitsnacht weigerte sich sein Vater schlichtweg, noch einmal mit ihr zu schlafen. Im Tagebuch der armen Frau stand darüber, er habe sie am Morgen danach als hässlich und langweilig im Bett beschimpft und damit ihr Selbstvertrauen untergraben und die Hoffnung zerstört, dass er sie vielleicht doch liebte.
    Entsprechend war ihre Ehe eine einzige Farce, bei der sie um ihres Sohnes willen und der irgendwann zu erwartenden Erbschaft gute Miene zum bösen Spiel machte.
    Charles gestand Dominique, dass er als Kind und junger Mann nichts von den Eheproblemen seiner Eltern gewusst habe. Er war so gut wie nie zu Hause gewesen, ins Internat gegangen und während der unterrichtsfreien Zeit in irgendwelche Ferienlager geschickt worden. Schließlich hatten seine Eltern darauf bestanden, dass er sich ein Zimmer im Studentenwohnheim nahm. Auf diese Weise lernte er seinen Vater nie richtig kennen, und von seiner Mutter wusste er auch nicht viel mehr, nur dass sie zeitlebens unglücklich war.
    „Eins würde mich aber doch interessieren“, stieß er nun hervor, „warum mein Vater dieses verdammte Tagebuch aufgehoben hat? Manchmal denke ich, es hat ihm einfach gefallen, darin zu blättern und seine Gemeinheiten aus Sicht meiner armen Mutter nachzulesen.“
    „Bestimmt nicht, Charles! So schlecht ist niemand.“
    „Doch, mein Vater war durch und durch schlecht. Wenn ich mir vorstelle, dass sein Blut in meinen Adern fließt, wird mir ganz anders. Manchmal tröste ich mich damit, dass ich ihm gar nicht ähnlich sehe.“
    „Vielleicht schlägst du nach deinem Großvater. Was man so hört, war er ein hart arbeitender Mann.“
    „Ja, und ein guter Mensch. Wer weiß schon, warum mein Vater so geworden ist? Was glaubst du, welchem deiner Elternteile du nachschlägst?“, fragte Charles und hoffte, seine Offenheit und sein Vertrauen würden Dominique dazu veranlassen, ihm ebenfalls entgegenzukommen.
    Doch der freundliche Ausdruck in ihren Augen verschwand, und mit einem Mal wirkte sie einfach nur noch traurig. „Ich … ich spreche nicht gern über meine Eltern.“
    „Und warum nicht? Weil sie auf so tragische Weise ums Leben gekommen sind?“
    „Nein, weil sie der Vergangenheit angehören. Ich hasse die Vergangenheit. Zumindest die Zeit, bevor wir geheiratet haben. Für mich war unser Hochzeitstag so etwas wie ein Neubeginn, und was davor geschehen ist, ist es nicht wert, sich daran zu erinnern.“
    „Deine Mutter ist es also nicht wert, sich ihrer zu erinnern?“, bohrte Charles vorsichtig weiter. „So etwas von der Tochter zu hören ist aber merkwürdig.“
    „Bitte, Charles“, sagte Dominique beunruhigt, „können wir nicht über etwas anderes reden?“
    Er seufzte. So viel also zu seinem Einfall, ihre Geheimnisse auszutauschen. Wahrscheinlich war es einfach noch zu früh. Aber … „Ich will dich bestimmt nicht aufregen. Ich habe mir nur Gedanken darüber gemacht, wie wenig wir eigentlich voneinander wissen. Ich meine … ich kenne zwar deinen Geschmack, weiß, was du gern isst, welche Weine, Bücher und Filme du bevorzugst. Ich weiß, dass du großen Wert auf dein Äußeres legst und viel dafür tust. Ich weiß auch, dass du Pastelltöne magst und es nicht leiden kannst, wenn Männer fluchen. Ich weiß, dass du intelligent und gut im Bett bist. Was dich aber tief im Innern bewegt, weiß ich nicht“, fügte er hinzu und lehnte sich zurück.
    Ihrem Blick standhaltend, fuhr er fort: „Wer und was wir sind, erklärt sich meist durch unsere Kindheit und unsere Eltern. Meine Mutter war zum Beispiel eine unheimlich gefühlvolle, aber auch sehr schwache Frau. Ich bin in dem Glauben groß geworden, selbst auch sensibel und schwach zu sein, vor allem weil mein Vater mir das ständig eingeredet hat. Erst nach dem Tod meiner Mutter habe ich aufgehört, ihm überhaupt

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