JULIA COLLECTION Band 10
Söhne.“
„Du weißt von ihnen?“, fragte ihr Vater erstaunt.
„Ich weiß alles, und auch von deinem wunderbaren neuen Job. Sag mir nur eins, Dad, wie hast du das alles geschafft? Denn als ich Tasmanien nach Mums Beerdigung verlassen habe, bist du nichts als ein heruntergekommener Alkoholiker gewesen, ohne Stolz oder Mumm in den Knochen.“
„Ich bitte dich, Dominique“, sagte Charles betreten, „hab doch ein bisschen Mitleid.“
„Nein“, erklärte da ihr Vater, „sie hat durchaus das Recht, so von mir zu denken. Ich bin zum Alkoholiker geworden, weil ich mit der Krankheit und den Ängsten ihrer Mutter nicht klarkam. Dabei hätte ich Tess vor allem nicht versprechen sollen, was ich ihr versprochen habe. Auch da schon war ich schwach, aber wenn es um Tess ging, bin ich immer schwach geworden. Ich habe sie zu sehr geliebt, um mich ihren Wünschen zu widersetzen, besonders nachdem ich meinen Job verloren hatte. Da … da fühlte ich mich so macht- und nutzlos. Zu trinken erschien mir als einziger Ausweg. Dabei überließ ich meiner minderjährigen Tochter die Bürde, die ich hätte tragen sollen.“
„Du redest wirres Zeug!“, fuhr ihn nun Dominique an. „Von welchen Wünschen sprichst du? Von welchen Ängsten? Mum war sehr tapfer, als sie starb. Viel tapferer, als ich es je sein könnte, und viel, viel tapferer, als du es bist!“
„Ja, sie war tapfer, aber ihr geduldiges Leiden ist so sinnlos gewesen.“
„Das kannst du laut sagen. Wenn du sie nur zu einem ordentlichen Arzt gebracht hättest, wäre sie vielleicht noch am Leben.“
„Glaubst du etwa, das wollte ich nicht? Ich habe sie angefleht, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, aber sie hat sich geweigert. Nach den Erfahrungen, die sie während der Schwangerschaft mit dir gemacht hatte, verabscheute sie Ärzte.“
„Was denn für Erfahrungen?“
„Sie hat mir erzählt, ihr Gynäkologe habe sie bei der Untersuchung jedes Mal unsittlich berührt. Das hat sie mir allerdings erst nach deiner Geburt gesagt und danach noch tagelang geweint. Daraufhin begann sie, sich vor allem Möglichen zu fürchten. Vor Großstädten, Menschenmassen und fremden Männern. Wir sind nach Keats Ridge gezogen, weil es so weit ab von allem lag. Doch ihre Angst vor Männern und Ärzten blieb. Und das, obwohl der Arzt vor Ort ein guter Mensch war. Du hast ihn doch gekannt, Jane, Dr. Wilson. Tess ist mit dir zu ihm gegangen, hat sich aber nie selbst untersuchen lassen. Kein einziges Mal. Als sie eine Fehlgeburt nach der anderen erlitt, habe ich sie angefleht, ihn aufzusuchen und wenigstens einen Abstrich machen zu lassen. Aber sie hat sich geweigert. Sie meinte, sie würde von allein wieder gesund werden, und so war es auch, selbst wenn sie nie wieder schwanger geworden ist. Etwa zu der Zeit, als ich meinen Job verlor, hat sie dann einen Knoten in ihrer Brust entdeckt. Sie meinte aber, es könne kein Krebs sein, weil er nicht wehtat. Aber es ging ihr nicht gut. Und dann, irgendwann, fingen die Schmerzen an. Ich glaube, der Krebs hat auch auf ihr Knochenmark übergegriffen. Schließlich wurde die Lunge befallen, und das war das Ende.“
Dominique traute ihren Ohren nicht. „Aber Mum hat mir gesagt, sie sei beim Arzt gewesen, und es sei zu spät für eine Operation gewesen. Man habe nichts mehr tun können, hat sie gesagt. Als ich sie gefragt habe, warum du sie nicht in eine Spezialklinik nach Hobart gebracht hättest, um eine zweite Diagnose einzuholen, meinte sie, du hättest es dir nicht leisten können.“
Entsetzt sah ihr Vater sie an. „Aber das ist nicht wahr! Ich hätte sie sofort hingebracht, und es hätte nicht einmal etwas gekostet, da ich damals arbeitslos gewesen bin. Sie wollte einfach nicht dahin. Sie wollte nicht einmal die Stadt verlassen, damit ich mir anderswo Arbeit suchen konnte. Ihre Angst vor der Welt da draußen und vor Ärzten war größer als ihre Angst vor dem Tod!“
„Aber das ist doch verrückt!“
„Ja, ich weiß, das war es auch. Und es hätte mich beinah in den Wahnsinn getrieben, sie so sterben zu sehen. Aber du weißt ja nicht, wie sie sein konnte, wenn du nicht da gewesen bist, wie sie mich angefleht hat, bei ihr zu bleiben und nichts zu unternehmen. Am Ende war ich ohnehin so weit, dass ich kaum noch etwas für sie tun konnte. Ich habe ihr lediglich Morphiumtabletten gegen die Schmerzen besorgt. Nach ihrer Beerdigung habe ich die restlichen Tabletten genommen und wäre beinah selbst gestorben. Aber Dr. Wilson hat mir
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