JULIA COLLECTION Band 10
den durchweichten Boden und versuchte, die umgestürzten Grabsteine nicht zu beachten. Aber es war schwer, über die Vernachlässigung des Friedhofs von Keats Ridge hinwegzusehen. Dabei war es in der Stadt selbst nicht viel anders. Alles war noch heruntergekommener, als sie es in Erinnerung hatte.
Sie ging direkt zu der Stelle, an der ihre Mutter begraben lag, und befürchtete schon, dass es dort nicht einmal einen Grabstein geben würde. Sie war zehn Jahre lang nicht mehr hier gewesen und wusste nicht, was ihr Vater mit dem Grab gemacht hatte. Wenn er überhaupt irgendetwas damit getan hat, dachte sie dann verbittert. Was er ansonsten gemacht hatte, wusste sie aus dem Bericht: sich einen ordentlichen Job gesucht und dann eine neue Familie gegründet, die er offensichtlich gut versorgte.
Dominique haderte immer noch mit ihm. Warum hatte er das nicht für ihre Mutter und sie tun können? Warum hatte er sie alleingelassen, während er das bisschen Geld versoff, das sie besaßen?
Der Grund dafür würde wohl immer ein Geheimnis bleiben. Denn bestimmt suchte sie ihn nicht auf und fragte, welches Wunder seine Hundertachtziggrad-Wendung verursacht hatte. Dabei wohnte er nur eine Stunde von Keats Ridge entfernt. Aber sie wüsste auch gar nicht, was sie sagen sollte. Wahrscheinlich wäre sie nicht einmal in der Lage, die Formen der Höflichkeit zu wahren, dazu hatte sie ihn zu lange gehasst. Nein, es machte keinen Sinn, sich bei ihm blicken zu lassen, nur weil sie neugierig war. Sie würde heute noch zum Festland zurückkehren. Vielleicht fand sie ja dann den Mut, Charles anzurufen, um sich nach seinem Befinden zu erkundigen.
Genau vor einem Monat hatte sie ihn verlassen, und es kam ihr vor wie eine Ewigkeit. Die meiste Zeit hatte sie in einer Pension in einem kleinen Küstenort westlich von Melbourne verbracht. Sie war früher schon einmal dort gewesen und hatte den Ort als sehr friedlich empfunden.
Aber wer Schuld auf sich geladen hatte, fand keinen Frieden, und Dominique plagten Tag und Nacht Schuldgefühle. Nachdem sie den Bericht gelesen und Rico gesagt hatte, wie sehr sie Charles verletzt hatte, war ihr erst einmal ihr skrupelloses Verhalten während der vergangenen zehn Jahre bewusst geworden. Sie hatte die Menschen nur benutzt, um ihr einziges Lebensziel zu erreichen: reich zu werden.
So gern sie auch in Selbstmitleid über ihre gescheiterte Ehe versunken wäre, konnte sie bei Charles keine Schuld finden. Sie allein trug die Verantwortung dafür. Rico hatte ganz recht gehabt, sie war eine Abzockerin gewesen. Dafür gab es keine Entschuldigung, nur Gründe. Und der Hauptgrund lag hier auf dem Friedhof, in diesem …
Erstaunt blieb Dominique stehen. Denn was sie jetzt sah, bestätigte keineswegs ihre Befürchtungen. Da waren kein von Unkraut überwucherter Hügel und kein billiges Holz-kreuz, sondern ein gepflegtes Grab mit einer Marmorplatte und einem großen, dazu passenden Grabstein. Die einfache Inschrift rührte Dominique zutiefst.
Hier ruht Tess Cooper, meine wunderschöne Frau und Mutter unserer geliebten Tochter Jane. In inniger Verbundenheit und tiefer Liebe, Scott Cooper
Dominique sank neben dem Grabstein auf die Knie und berührte die Inschrift. Dabei wurde ihr bewusst, dass dies das erste Mal seit der Beerdigung war, dass sie das Grab besuchte. Heute vor zehn Jahren war ihre Mutter begraben worden, und sie, Dominique, war seitdem kein einziges Mal hier gewesen.
„Oh Mum“, flüsterte sie nun unter Tränen, „bitte verzeih mir.“
Doch irgendjemand musste vor noch nicht allzu langer Zeit hier gewesen sein. In der Marmorvase standen vertrocknete Blumen.
„Verzeih mir“, stieß Dominique noch einmal hervor, während sie den verwelkten Strauß durch ihren ersetzte.
„Ich habe so gehofft, dich heute hier anzutreffen.“
Erschrocken sprang Dominique auf und wirbelte herum. „Charles!“, rief sie dann und wischte sich die Tränen aus den Augen, um den Mann, den sie liebte, besser sehen zu können. Du liebes bisschen, er war ganz dünn geworden und sah müde aus. „Aber wie …?“
„Frag nicht“, unterbrach er sie heiser, „und widersprich mir nicht. Komm einfach mit nach Hause.“
Wie gebannt sah Dominique ihn an. Da war er den ganzen Weg nach Tasmanien gekommen, um sie zurückzuholen. Er musste sie wirklich lieben. Trotzdem rührte sie sich nicht von der Stelle, und Charles wiederholte: „Komm mit nach Hause.“
„Aber …“
„Kein Aber“, stieß er hervor. „Bei unserer
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