JULIA COLLECTION Band 10
wie sehr er bereits von der „lustigen Witwe“ abhing.
Aber irgendetwas musste sich ändern. Durch das Meiden der Rennbahn heute Nachmittag hatte er nichts erreicht. Und da er keinen Einfluss auf Renée nehmen konnte, musste er wohl bei sich anfangen. Aber wie schlug man sich etwas aus dem Kopf, nach dem man sich nun schon Jahre verzehrte?
Sich mit ihr anzulegen half nicht, sie zu meiden auch nicht. Hm, vielleicht sollte er psychiatrische Hilfe in Anspruch nehmen. Aber das brachte wahrscheinlich auch nichts. Er würde als „Masochist mit zwanghafter Neigung zu einer weiblichen Person außerhalb seiner Reichweite“ eingestuft und mit einem Rezept für Antidepressiva, Therapiestunden für die nächsten Monate und einer schwindelerregend hohen Rechnung nach Hause geschickt.
Nein, nein, das mit der professionellen Hilfe vergaß er lieber. Blieb nur eins: Ran an den Feind! Er könnte die „lustige Witwe“ um ein Rendezvous bitten – ein echtes, keine Grillparty bei „Mamma“. Da Renées Antwort wahrscheinlich trotzdem negativ ausfallen würde, wäre es zwar purer Masochismus, sie zu fragen, aber was blieb ihm denn sonst übrig? Schließlich hatte er nichts zu verlieren.
Genau! Gleich morgen wollte er sich in die Höhle des Löwen begeben, dann sah er ja, was passierte.
3. KAPITEL
Am nächsten Morgen gegen elf Uhr dreißig verließ Rico mit mulmigem Gefühl sein neues Apartment. Das Penthaus hatte er von seinem Freund Charles übernommen, nachdem dieser in einen Vorort im Norden Sydneys gezogen war. Mit dem Privataufzug fuhr Rico direkt in die Tiefgarage, glitt hinter das Lenkrad seines Ferrari-Cabriolets und startete den Motor.
Die Einladung galt bereits ab elf Uhr, und er war ein wenig spät dran. Aber bis zum Rennstall würde er nicht lange brauchen – maximal fünfzehn Minuten. Dass man in kurzer Zeit überall in der Stadt war, stellte einen großen Vorteil von Charles’ altem Apartment dar, abgesehen vom herrlichen Ausblick.
Als Rico etwa einen Block weit gefahren war, bemerkte er, dass sich das Wetter an diesem Frühlingstag nicht wirklich für eine Fahrt ohne Verdeck eignete. Während er auf den entsprechenden Schalter drückte, um das zu ändern, dachte er unwillkürlich: Der graue Himmel ist kein gutes Omen für mein Vorhaben. Dabei war dieses Wetter typisch für Anfang September. Dass bei den Olympischen Spielen immer strahlender Sonnenschein geherrscht hatte, war ihm nach wie vor ein Rätsel. Normalerweise zeigte sich das Wetter um diese Jahreszeit wechselhaft, und man konnte es nur vorhersehen, indem man morgens den Kopf zum Fenster hinausstreckte. Sich auf die Vorhersage zu verlassen war genauso unvernünftig, wie sich vorzustellen, dass Renée tatsächlich mit ihm ausgehen würde.
Aber sein Entschluss stand fest. Er hatte schon immer versucht, seine Ziele zu erreichen, und erst aufgegeben, wenn er ganz sicher wusste, dass es aussichtslos war – so wie mit der Schauspielerei. Solange ihm Renée also keine deutliche Absage erteilt hatte, hegte er zumindest noch einen Funken Hoffnung.
Während der kurzen Fahrt nach Randwick gelang es Rico sogar, sich davon zu überzeugen, dass es eine ernst zu nehmende Chance gab. Offensichtlich hatte die „lustige Witwe“ keinen festen Freund, sonst hätte der sie sicher einmal auf die Rennbahn begleitet. Abgesehen davon kam sie regelmäßig zu den Pokerabenden, es sei denn, sie hielt sich in Übersee auf. Keine Frau mit festem Partner wäre über Jahre jeden Freitagabend verfügbar gewesen.
Nicht dass Rico auch nur für eine Sekunde glaubte, Renée würde wie eine Nonne leben. Bestimmt hatte sie seit dem Tod ihres Mannes zahlreiche Liebhaber gehabt. Immerhin war sie jetzt schon seit über fünf Jahren Witwe, eine zu lange Zeit für eine Frau ihres Alters, um jede Nacht allein zu verbringen.
Aus irgendeinem Grund – wahrscheinlich Selbstschutz – hatte sich Rico in der Vergangenheit nicht viel Gedanken darüber gemacht, mit wem Renée schlief. Doch plötzlich konnte er an nichts anderes denken. Nachdem er sämtliche Szenarien von Affären mit verheirateten Männern über One-Night-Stands bis hin zu Kurzzeitbeziehungen mit bindungsunwilligen Scheidungsgeschädigten verworfen hatte, kam er zu dem Schluss, dass sich Renée ihre Gespielen wahrscheinlich aus den männlichen Models auswählte, die täglich an die Tür ihrer Agentur klopften.
In einer derartigen Beziehung würde sie wahrscheinlich immer darauf bestehen, der Boss zu sein, vor allem beim
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